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108 Psychische Studien. XVII. Jahrg. 3. Heft. (März 1890.)
wirklich erlebte. Der beste Beweis dafür, dass man,
trotzdem man sich an Nichts davon erinnert, geträumt hat,
ist folgender: —
Es kommt oft vor (wenigstens ist es mir oft passirt),
dass, wenn Zwei in einem Zimmer schlafen, der Eine wacht
und den Anderen im Schlafe sprechen hört. Wenn er dann
am anderen Morgen den Betreffenden fragt, was er geträumt
habe, erhält er oft die Antwort, dass dieser überhaupt
nicht geträumt habe, oder wenigstens nicht das Mindeste
davon wisse. Man träumt also bisweilen, ohne sich nachher
des Träumens erinnern zu können.
Für die Materialisten, die das Traumleben, wie jede
Gedanken- und Vorstellungsthätigkeit, auf Gehirnfunctionen
zurückführen, muss es doch auffallend sein, dass man einen
Traum haben und nach ganz kurzer Zeit sica desselben nicht
mehr erinnern kann, — mit anderen Worten; — dass unser
Gehirn im Traumleben Gedanken und Vorstellungen
producirt, die es im Wachen nicht reproduciren kanu.
Hiergegen Hesse sich einwenden, dass, wenn man einen
Traum so bald vergisst, dieses daher kommt, dass er nur
undeutlich war und daher nur geringe Spuren im Gehirn
zurückliess. Wenn man aber z. B. im Schlafe spricht und
geht, so muss das doch als ein Zeichen gelten, dass man
sehr lebhaft träumt. Nun ereignet es sich aber, wie oben
gesagt, sehr oft, dass man im Traume gesprochen hat und
doch sich nicht erinnert, was man geträumt hat.
Wenn das Gebirn während solcher Träume thätig
gewesen wäre, würde man im wachen Zustande keine
Schwierigkeit gehabt haben, sich ihrer zu erinnern; das
Nichterinnern muss also daher rühren, dass das Gehirn
unthätig gewesen ist. Aber was ist denn da thätig
gewesen? Was wohl sonst, als der so oft von den
Materialisten verleugnete Geist?
Der Geist benutzt im wachen Zustande das Gehirn als
ein Werkzeug für seine Arbeit; wenn er daher sich erinnern, —
also gewissermaassen diese Arbeit reproduciren will, so ist
er dazu auch nur soweit im Stande, als er das Gehirn
benutzt hat, die Arbeit, deren er sich erinnern will, auszuführen
; dagegen kann er sich mit Hülfe des Gehirnes nicht
einer Arbeit erinnern, die er in freiem Zustande, also ohne
das Gehirn zu benutzen, ausgeführt hat.
Dies als stehende Eegel betrachtet, wird es uns ein
Leichtes, das vollständige Vergessen (Nichterinnern) zu
erklären, während es für den Materialisten ein unerklärliches
Phänomen bleiben muss, so lange er nicht annimmt, dass
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