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150 Psychische Studien. XVII. Jahrg. 3. Heft. (März 1890.)
Baekworfh* hatte es zu einer solchen Fertigkeit gebracht,
dass er während einer wissenschaftlichen Debatte grosse
Zahlenreihen schnell und richtig addirte, ohne sich im
Mindesten dadurch ablenken zu lassen. Ohne Zweifel würde
eine planmässige und zielbewusste Dressur der unteren
Bewusstseinssphäre zu überraschenden Ergebnissen führen,
zumal da wir in der glücklichen Lage sind, sie gleichsam
selbständig zum Sprechen zu bringen. — Das hierfür verwendete
Mittel ist das automatische Schreiben. In
Spiritistenkreisen seit langem als eine Art des Verkehrs
mit Geistern bekannt, wurde es meines Wissens zuerst von
Taine in wirklich wissenschaftlichem Sinne verwerthet.
Der berühmte Gelehrte erzählt nämlich Folgendes in der
Vorrede zu seinem Buch: — „De Fintelligence": — „Ich
habe eine Person gesehen, welche beim Sprechen oder Singen
zusammenhängende Sätze schreibt, dabei aber das Papier
gar nicht ansieht und keine Ahnung davon hat, was sie
eigentlich hinschreibt; in meinen Augen ist ihre Glaubwürdigkeit
vollkommen: — und sie erklärt eben, dass am
Ende einer Seite ihr der Inhalt der Schriftzüge völlig
unbekannt sei; wenn sie dann liest, ist sie stets erstaunt,
oft erschreckt. Die Schrift gleicht nicht ihrer gewöhnlichen,
die Bewegung der Finger und des Bleistiftes scheint steif
und automatisch. Das Ganze endet regelmässig mit der
Unterzeichnung einer verstorbenen Person und trägt das
Gepräge intimster, manchmal sogar gefährlicher Bekenntnisse
. Sicherlich konstatirt man hier eine Verdoppelung
des Ich, die gleichzeitige Anwesenheit von zwei gleichlaufenden
und unabhängigen Vorstellungsreihen, von zwei Thätigkeits-
centren oder, wenn man so will, von zwei, in einem
Gehirn sich gegenüberstehenden, Persönlichkeiten." — Mit
dem automatischen Schreiben ist also der Weg gefunden,
die untere Bewusstseinssphäre ohne störende Einwirkung
der oberen ins Spiel zu setzen, die seltsame Spaltung unsres
Ich experimentell zu untersuchen. . . Auf der gleichen Stufe
mit dem Schreiben stellen sachlich alle andren automatischen
Handlungen, die wir im Lauf des Tages vollführen. Wie
oft begegnet es Einem, dass man einen Brief in den Kasten
wirft oder einen Gegenstand beiseite legt, ohne nachher
überhaupt zu wissen, ob man es gethan hat! Und doch
besteht bei diesen unbewussten, aber intelligenten Handlungen
eine Art von schlummerndem Bewusstsein: — sie
werden sorgfältig von jenem zweiten Ich registrirt, dessen
Erinnerungskette ein in sich geschlossenes Ganze bildet.u . .
j) In Julius Eekardfs jüngst erschienenem Buche: —
„Garlieb Merkel über Deutschland zur Schiller-Goethe-Zeit."
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