http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1890/0179
Liebich: Spiritualismus und Vegetarismus.
171
Setzungen, von denen dabei ausgegangen wird. Wir wollen
aber vorläufig, bis den Bau der Welt Philosophie zusammenhält
, „Frieden und Ruhe" möglichst Vieler auch dadurch
zu begründen suchen, dass wir sie aufklären über wichtige,
zu ihrem Glücke unbedingt anerlässliche Bezüge des
Erdenlebens, als desjenigen Lebens, in das wir nun
einmal, mögen wir sonst denken, was wir wollen, gestellt
sind zu wirken, und worin wir also doch nicht zwecklos
wirken, d. h. unsere Entwicklung mindestens ebenfalls
haben sollen. Wer wollte verkennen, dass dies Wirken der
aufgeklärten, die entarteten und entartenden Lehren der
Gelehrtenzunft tief verabscheuenden Menschenfreunde jetzt
mehr denn je an der Zeit ist, wo das Blaue vom Himmel
herunter zu predigen scheint, wie gross die Kluft zwischen
„Wissenschaft" und Leben, d. h. zwischen dem Wissen
erforschter und angelernter Thatsachen einerseits und deren
verständiger Verarbeitung und Zusammenfassung andererseits
, zwischen Gedächtnisswissen und Denkwissen (wie dies
Radenhausen trefflich benennt) nachgerade geworden ist. Die
„europäische" Kultlirmenschheit ist tief entartet. Sie hat
ein laut schreiendes Bedürfniss nach Erlösung durch neue
Grundlagen der Sittlichkeit und Gerechtigkeit. Das ist das
Eine, das Noth thut, das höher ist als alle wissenschaftlich
abgezogene Erkenntniss vom Weltzusammenhang, und es
waltet in dieser Beziehung auch nicht der allermindeste
Zweifel, dass erst dann, wenn die vegetarische Lebensweise
sich früher oder später der gesammten Menschheit aufgezwungen
haben wird, die in Wahrheit höchsten Eigenschaften
des Menschenwesens durch sie mächtig erblühen
werden. Auf diesem Standpunkt wird man nur noch die
eine Erage haben, wie es nur möglich war, dass die
europäischen Rassen so lange nicht-vegetarisch leben
konnten, ohne ihre Verirrung mit Händen zu greifen,
wird andererseits der Erkenntniss der sogenannten übersinnlichen
Dinge ein ganz anderer Nährboden erwachsen
sein als jetzt, und wird dann die „Weisheit" allerdings sich
nicht schlecht dabei stehen. Oder klingt es nicht, worüber
wir ja mit Herrn H.-S. erfreulich einig sind, höchst tragikomisch
, dass ein in solchen Richtungen „Weiser" und
„Hochstehender" die Ammenhilfe von blutigen Mordgesellen
für seine Table-d?h6te nöthig haben soll?
Altona, im September 1889.
12*
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1890/0179