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202 Psychische Studien. XVII. Jahrg. 5. Hett (Mai 1890.)
sagen: — die Ahnung ist ein seelischer Process, dessen
Ursache unbewusst ist, dessen Wirkung aber als Angstgefühl
im Bewusstsein Hegt. Das Bewusstsein vorhält sich
also dabei nicht erzeugend, sondern empfangend.
Die unbestimmte Angst, die das Bewusstsein empfängt,
muss aber im Unbewussten zureichend motivirt sein. Der
psychologische Widerspruch wäre nur zurückgeschoben,
aber nicht gelöst, wenn wir annähmen, dass auch im
Unbewussten blosses Angstgefühl und weiter nichts läge.
Zureichendes Motiv eines Angstgefühls kann allein die
Vorstellung des Ereignisses sein. Da nun aber das
Ereigniss in der Zukunft liegt, muss diese Vorstellung ein
Ferngesicht sein. Damit sind wir zu einer noch
genaueren Definition gedrängt: — die Ahnung beruht auf
einem Ferngesicht, welches unbewusst bleibt, während das
damit verknüpfte Angstgefühl die Empfindungsschwelle
überschreitet, d. h. bewusst wird.
Die Ahnungen wären demnach ganz unzureichend
definirt, wenn wir sagen würden, dass sie ein undeutliches
Wissen von einem nahen Unglück sind; dass sie auf einem
mangelhaft eintretenden Fernsehen beruhen; dass dieselbe
Fähigkeit, die uns im Somnambulismus ein deutliches
Ferngesicht liefert, im Wachen nur ein abgeschwächtes
Fernsehen erzeugt, ein Ahnen. Nach dieser Anpassung
würde sich das Ahnen zum Fernsehen verhalten, wie der
Oomparativ zum Superlativ. Diese Auffassung ist aber nicht
richtig. Das somnambule Fernsehen beruht nicht auf einem
abstracten Wissen, sondern auf bildlichem Schauen, Ein
im Wachen abgeschwächt eintretendes Fernsehen würde
also noch immer ein Bild liefern, wenn auch nur verwaschen,
wie durch einen Nebel gesehen. Das sind nun aber
Ahnungen nicht. Sie sind vielmehr ausschliesslich b elühis-
processe, bei welchen die correspondirende Vorstellung
ganz fehlt, wenigstens im Bewusstsein weder als deutliches,
noch als undeutliches Bild, noch als abstractes Wissen
vorhanden ist. Die Ursache liegt also im Unbewussten,
sie muss ferner eine Vorstellung sein, und zwar eine
deutliche Vorstellung, denn nur durch eine deutliche Vorstellung
ist die Angst zureichend erklärt.
Ich kann nichts dafür, wenn sich während der
mikroskopischen Untersuchung das Häthsel vergrössert, und
ein kleiner Gewinn ist ja trotzdem bereits erreicht. Es
zeigt sich nämlich, dass wir nicht zwei Vermögen, die
Zukunft wahrzunehmen, im Menschen anzunehmen
brauchen: — Ahnung und Fernsehen. Das letztere genügt.
JSs zeigt sich ferner, dass unser Vermögen, die Zukunft
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