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234 Psychische Studien. XVII. Jahrg. 5. Heft. (Mai 1890.)
den Schöpfer der Welt, unseren Erlöser und an die (Deister
gerichteten Gebete eröffnet. Doch wollen wir lieber an
dieser Stelle gleich einen Bericht über eine derartige Versammlung
geben, wie wir ihn in einer Zeitung San
Franeiscos finden: —
'San Francisco, den dl. Januar. Als Frau Woodworth,
die „Visionsevangelistin", wie sie sich nennt, heute Abend
ihre Versammlung eröffnete, lagen zwei junge Mädchen, die
Eine ungefähr fünfzehn, die Andere neunzehn Jahre alt, in
Verzückungen vor dem Altar. Auf einer langen, flachen,
bühnenartigen Erhöhung lag eine andere Frau in demselben
Zustande. Es mochten wohl gegen 2000 Personen anwesend
sein, welche Alle sich sehr gut betrugen. Die zur Ueber-
wachung derartiger Versammlungen angestellte Polizei war
zugegen, aber nicht so zahlreich wie gewöhnlich, weil auch
eine grössere Abtheilung der gewöhnlichen Polizei zu dieser
Vorstellung beordert worden war. Frau Woodworth hielt,
nachdem sie die gewöhnlichen Gebete gesprochen hatte, eine
Predigt über den Text aus Petrus Kapitel 2, Vers 4: —
'Wie sollen wir entrinnen, wenn wir ein so grosses Heil
vernachlässigen?1
„Ohne Zweifel war die Predigt der Frau Woodworth eine
sehr ernste, eindruckreiche und zu Herzen gehende* Fast
zwei Stunden lang bat und befahl sie abwechselnd den
anwesenden 'Sündern', umzukehren und einen anderen Weg
einzuschlagen, und offenbar befand sie sich heute unter dem
Einflüsse einer grösseren Aufregung als gewöhnlich. Trotz
aller Anstrengungen gelang es ihr nicht, die Zuhörer zu
rühren, wenigstens nicht in dem Maasse, wie sie gehoflt
hatte. Während der Predigt waren die beiden jungen
Mädchen wieder zu sich gekommen und wurden von hilfreichen
Freunden fortgetragen. Die Frau auf der Bühne
stöhnte oder schrie von Zeit zu Zeit laut auf und hob ihre
Hände gen Himmel. Gegen Ende ihrer Predigt sprach
Frau Woodworth von ihren beiden Kindern Willy und Georg,
welche, wie sie sagte, der liebe Gott zu sich genommen
hätte, damit sie selbst in die Welt gehen könne, um die
Menschheit vor ewiger Verdammniss zu bewahren.
„Nachdem sie sich nunmehr allmählich in immer grössere
Hitze geredet hatte, rief sie mit lauter Stimme: — 'O, Ihr,
die Ihr nun bekehrt seid, kommet zu mir, o, kommt, kommt,
verliert keinen Augenblick, Euch zu dem besten Glauben
zu bekennen.' — Mehrere Damen kamen in Folge dieser
Aufforderung nach vorn, und nun fand ein grosses allgemeines
Beten statt, wobei Dr. Smith das Wort führte.
In seinem Gebete kam vor: — 'Zeige den anwesenden
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