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240 Psychische Studien. XVII. Jahrg. 5. Heft. (Mai 1890.)
anderen Charakterzügen der kaiserlichen Familie Napoleon^
des Dritten, auch folgenden. Die Leiden der Kaiserin
begannen schon in den ersten Wochen des Zusammenslosses
zwischen Deutschland und Frankreich mit schweren Sorgen
und düsteren Ahnungen. Der 15. August 1870 war des
Kaisers Geburtstag, aber diesmal befand sich Napoleon bei
der Armee, und diese hatte bereits die ersten Niederlagen
erlitten. Wir sehen in unserem Buche die hohe Frau am
Abend eines ungewöhnlich heissen Sommertages, das Haupt
in weisse Spitzen gehüllt, schweigend durch die Schatten
der alten Kastanienbäume des Tuileriengartens wandeln.
„Sie war von einer kleinen Gruppe von Dienern begleitet",
berichtet Madame Carette. „Alle beobachteten ebenfalls
tiefes Schweigen. Plötzlich Messen sich Trompetenstösse
hören, die vom Place de la Concorde herkamen und verkündeten
, dass die Feuerwehr der Provinz, die hcrbei-
befohlen war, um bei der Vertheidigung des Landes
mitzuwirken, sich versammle. Die Kaiserin schrak bei dem
Schalle zusammen und wendete sich um, als ob sie ins
Schloss zurückfliehen wolle. Der Himmel war mit feurigem
Roth übergössen, und die malerische Masse der Tuilerien
hob sich in starkem Relief von ihm ab. 'Sehen Sie nur',
— sagte die Kaiserin, indem sie mich anredete, — 'man
sollte meinen, die Tuilerien ständen in Flammen.'" — So
schreibt ihre Vertraute, und wenige Monate später verzehrte
eine wirkliche Feuersbrunst, von kommunistischen Verbrecherhänden
verursacht, das alte stolze Herrscherschloss
bis auf die nackten Mauern.
c) In einer kritischen Besprechung von Sören Kierkegaard^
(eines zu Kopenhagen am 11. November 1855 verstorbenen
Predigers) zwei schon im Jahre 1844 veröffentlichten
Schriften: — „Zur Psychologie der Sünde u. s. w." (Leipzig,
Fr. Richter, 1890) — in den „Grenzboten" Nr. 7 vom
13. Februar 1890 S. 341 lesen wir unter Anderem: —
„Wie Michelsen in der Real-Encyklopädie von Herzog und
Pütt mittheilt, hat Kierkegaard von sich selbst einmal
gesagt: — 4Von Kindheit auf war ich in der Gewalt einer
ungeheuren Schwermuth; fast, so weit ich zurückdenken
kann, war meine einzige Freude, dass keiner entdecken
konnte, wie unglücklich ich mich fühlte, was ja beides (die
Schwermuth und die Verstellungskunst) andeutet, dass ich
auf mich selbst und die Gemeinschaft mit Gott angewiesen
war.* — Zu seiner weiteren Charakteristik sei aus dem vorliegenden
Buche noch folgendes mitgetheili Er missl>illigt
das 'sentimentale' Mitleid mit den im Mittelalter so grausam
behandelten Dämonischen (Besessenen und Hexen) und
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