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256 Psychische Studien. XVII. Jahrg. 6. Heft. (Juni 1890.)
war. Dass die Ferngesichte durch „Suggestion"
(Gedankeneingebung) der Anwesenden zu Stande kommen
könnten, war wohl dem Hirten nicht bekannt; dagegen scheint
er auf ihre heissen Wünsche und ihre inbrünstigen Gebete
ein besonderes Gewicht zu legen.
Was sind Ahnungen?
Von Dr. Carl da Prel.
(Fortsetzung von Seite 208.)
II.
Die vorliegende Theorie erklärt ferner, dass Ahnungen
oft erst im letzten Augenblick eintreten, wenn wir
eben im Begriffe sind, etwas zu thun, was uns gefährlich
werden würde. In diesem Falle wirken sie oft abhaltend.
So liegen z. B. einige Berichte vor, dass Leute, die ein
Schiff besteigen wollten, durch eine unbestimmte Angst
davon abgehalten wurden. Hier erweckt also der Anblick
des Schiffes associativ zwar nicht das Ferngesicht,
aber doch die damit verknüpft gewesene Angst. Dieser
Erklärung stimmt auch Schopenhauer bei: — „Eine finstere
Stimmung, eine ängstliche Erwartung des Kommenden, hat
sich nach dem Schlafe unserer bemächtigt, ohne dass eine
Ursache dazu vorläge. Dies ist, der obigen Darstellung
gemäss, daraus zu erklären, dass jenes Uebersetzen des im
tiefsten Schlafe dagewesenen, theorematischen, wahren,
Unheil verkündenden Traumes in einen allegorischen des
leichten Schlafes nicht gelungen und daher von jenem nichts
im Bewusstsein zurückgeblieben ist, als sein Eindruck auf
das Gemüth, d. h. den Willen selbst, diesen eigentlichen
und letzten Kern des Menschen. Dieser Eindruck klingt
\ t nun nach, als weissagendes Vorgefühl, als finstere Ahnung.
I Bisweilen wird jedoch diese unserer sich erst dann be-
' mächtigen, wenn die ersten, mit dem im theorematischen
Traum gesehenen Unglück zusammenhängenden Umstände
in der Wirklichkeit eintreten, z. B. wann Einer das Schiff,
welches untergehen soll, zu besteigen im Begriffe steht, oder
wann er sich dem Pulverthurm, der auffliegen soll, nähert.
Schon Mancher ist dadurch, dass er alsdann der plötzlich
aufsteigenden bangen Ahnung, der ihn befallenden inneren
Angst, Folge leistete, gerettet worden. Wir müssen dies
daraus erklären, dass aus dem theorematischen Traum,
obwohl er vergessen ist, doch eine schwache Beminiscenz,
eine dumpfe Erinnerung übrig geblieben, die zwar nicht
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