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Wittig: Professor Semmig's Stellung zum Spiritualismus. 347
Vorsitz des Bischofs von Beauvais begann vor einem aus
etwa 60 Klerikern zusammengesetzten Tribunal der kanonische
Untersuchungsprozess. Johanna wurde des Abfalls vom
Glauben und der Ketzerei angeschuldigt, weil sie hartnäckig
behauptete, dass ihr Engel und Heilige persönlich erschienen
seien und mit ihr gesprochen haben. Dass sie in ihrem
kriegerischen Berufe Männerkleider angelegt, ward ihr als
Verbrechen gegen Gottes [Kleider-?] Ordnung angerechnet.
Endlich am 31. Mai 1431, also ein Jahr nach ihrer Gefangennahme
, nachdem Johanna ihre Irrthümer abgeschworen
und sich der Kirche unterworfen, dann ihren Widerruf
zurückgenommen, endlich nochmals widerrufen hatte, erfolgte
das Urtheil des geistlichen Gerichts, welches sie dem weltlichen
Arm mit der Bitte übergab, milde mit ihr zu verfahren
, d. h. sie weder zur Verstümmelung, noch zum Tode
zu verurtheilen. — Ueber das, was nun weiter geschah,
widersprechen sich die Behauptungen der Historiker vollkommen
. Während die bisherige Darstellung annimmt, dass
Johanna noch am Tage des geistlichen Urtheils von den
Engländern ohne Urtbcii und Hecht lebendig verbrannt
worden sei, behauptet Lesigne, dass sie zwar gefangen gehalten
, aber nachmals entkommen sei und — sich verheirathet
habe. — Er stützt seine Behauptung darauf, dass die Engländer
gewohnt waren, ihre Gefangenen am Leben zu
lassen, und dass die Sage von der Hinrichtung Johanna'*
in Frankreich nur entstanden und geglaubt sei, weil eine
auf sie bezogene angebliche Prophezeihung dies vorausgesagt
habe, üebrigens würde es nicht befremdlich sein,
dass die Engländer gegen sie dieselbe Milde haben walten
lassen, wie gegen andere in ihre Gewalt gerathene
Agitatoren, die das Volk zum Kriege aulreizten.*4 —
Lesigne führt nun zur Beglaubigung seiner Auffassung
ein Dokument vom 7. November 1436 an, worin sich ein
— »Robert des Armoises, Ritter, Herr von Tichiemonl, und
Johanna du Lys, die Jungfrau von Frankreich, Gattin des
besagten Tichiemont" — nennen. Zu dem Namen Johanna
du Lys („von der Lilie") wird von Lesigne bemerkt, dass
Johanna^ Familie schon 1429 vom Könige das ßecht erhalten
haben soll, im Hinblick auf das gerettete Wappen
Frankreichs sich „du Lysil zu nennen. Ausserdem, um
nachzuweisen, „dass die Dame des Armoises in der That
identisch mit der „Jungfrau von Orleans" sei, citirt Lesigne
noch verschiedene Urkunden, aus denen Johanna^ Rückkehr
nach Orleans, ihre Vereinigung mit ihren Brüdern und ihrer
Mutter, ihre Aufnahme und die ihr gemachten Geschenke
hervorgehen. Aus einem späteren Dokumente vom Jahre
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