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348 Psychische Studien. XVII. Jahrg. 8. Heft. (August 1890.)
1443 geht hervor, dass damals Johanna nicht mehr in
Frankreich weilte, — ihre Tage haben im Dunkel des
Privatlebens geendet.41 — Der Verfasser J. E. des Artikels
schliesst mit den vorsichtigen Worten: — „Wir sind nicht
in der Lage, die Glaubwürdigkeit der Lesigne* sehen
Dokumente zu prüfen, welche in Prankreich gewaltiges
Aufsehen erregt haben. Wir glauben auch, dass ihre
Echtheit den Franzosen die Jungfrau als Befreierin so
wenig rauben wird, als die deutsche Geschichtsforschung es
vermocht hat, den Schweizern ihren Teil zu nehmen. Und
sollte es wirklich ein Unglück sein, wenn in Tagen der
Noth das Volk an solchen — auch nur erträumten —
Vorbildern sich aufrichtet? Das ist kein Götzendienst,
sondern Idealismus." —
Aber es bliebe doch immerhin eine geschichtliche
Unwahrheit. Die historische Wirklichkeit hat zum Glück
keinen Mangel an echten Stützpunkten für den Idealismus
und braucht nicht zur Selbsttäuschung erträumter Vorbilder
zu greifen. Darum ist und bleibt wissenschaftliche Klarheit
in allen Dingen das Beste für ein jedes Volk, — Doch in
unserem Falle erscheint uns der Thatbestand obiger
Dokumente den der historischen Ueberlieferung nicht so
leicht beseitigen zu können. Wie steht es denn mit den
von England, d. d. ßouen, 8. Juni 1431, erlassenen zwei
Rundschreiben, eines lateinisch an den Kaiser und die
Fürsten der Christenheit, das andere v. 28. Juni an die
hohe Geistlichkeit, den Adel und die Städte Frankreichs,
worin der strenge Prozess gegen Johanna zu rechtfertigen
gesucht wird? (VergL „Psych. Stud." September-Heft 1881
S. 392 ff.) Und wie steht es mit der späteren Wiederaufnahme
des Prozesses, dem sog. „Rehabilitations-Verfahren"
von 1452 bis 1456, das erst unter Papst Calixtus III. zum
erwünschten Abschluss kam, und in welchem Johanna für
„unschuldig, treu, katholisch bis in den Tod, von jedem
Verbrechen los und ledig" erklärt wurde? Wäre das
möglich, wenn Johanna schon 1436 frei und verehlicht
gewesen wäre? Wir sind deshalb auf Professor Seinmiy**
Urtheil gespannt, sowie auf seine Widerlegung Le*igne%
alls nicht schon Andere mit triftigen Widerlegungen
desselben ihm inzwischen zuvorgekommen sind.
[Wie wir nach Abschluss dieser Arbeit aus der von
uns einer Bibliothek entliehenen 2. Aufl. von Dr. Herman
Semmig% früheren Gymnasialprofessors zu Orleans, Werke:
— „Die Jungfrau von Orleans und ihre Zeitgenossen."
,Leipzig, 1887) S. 61 ersehen, kennt der Verf. bereits die
von Lesigne weiter verfolgten Spuren dieser Johanna d%i Lyn
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