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Wittig: Professor Semmig's Stellung zum Spiritualismus. 351
ich oft gewohnt bin, vor mich hingesprochen habe, doch
kann ich mich eben nicht darauf besinnen.' — Zwei Jahre
später hatten wir ein anderes Dienstmädchen; die Pflegemutter
sprach mit ihr, das Gespräch war vielleicht auf
verwandte Gegenstände gefallen, und so erzählte sie denn
das Erlebte. 'Das war die Mutter f fiel sogleich das
Mädchen ein, und zwar mit der naivsten Ruhe und
Sicherheit, als ob das nicht anders sein könnte, und
erzählte: — 'In meiner Heimath, Kirchsteitz bei Zeitz, war
ich im Dienst bei der Schullehrerin; da starb im Dorfe
eine Frau kurz nach der Geburt ihres Kindes, und meine
Dienstherrin nahm das arme Kleine zu sich, um es aufzuziehen
; ich schlief deshalb mit der Lehrerin im selben
Bett; da haben wir mehrere Male die Mutter in der Nacht
kommen sehen, sie beugte sich dann über das Kind und
blieb eine Zeitlang so liegen.' — An Betrug oder Fabulirerei
seitens des naiven Bauermädchens war nicht zu denken;
sie erzählte Alles im natürlichsten Tone, wie eine Person,
die ihrer Sache gewiss ist, und die das auch für etwas
gewöhnlich Vorkommendes hält, wobei nur hervorzuheben
ist, dass zwei verschiedene Personen behaupteten, dasselbe
gesehen zu haben. Ich war nicht gegenwärtig, als sie
erzählte; später, unterrichtet davon, frug ich das Mädchen
genau aus, um nach irgend einer psychologischen Erklärung
dieses Glaubens zu forschen, konnte aber von dem wirklich
völlig naiven, einfachen Dorfmädchen nichts erhalten, als
die gleichmüthige Erzählung des Falles als eines von ihr
und ihrer Dienstherrin gleichzeitig gesehenen." —
Eine psychologische Erklärung findet Herr Prot
Semmig vielleicht in folgender Mittheilung des Dr. Franz
Hirsch in der X. Fortsetzung seiner „Geschichte des
deutschen Gemüthes" in „Schorens Famiiienblatt" Nr. 51,
1889: —
„Zu den anmuthendsten Zügen der deutschen Sage
gehört der Volksglaube, dass, wenn eine Muttor kurz nach
der Geburt eines Kindes gestorben ist, sie keine Ruhe
findet, bis sie das Kind gewartet und gesäugt hat. Die
Sage ist des festen Glaubens, dass man einer Frau, die im
Wochenbette starb, sechs Wochen lang ihr Bett offen lassen
müsse, damit sie dort ruhen könne, wenn sie zu ihrem
Kindlein kommt. Der Volksglaube giebt hier nur dem
Muttergefühl und der elterlichen Fürsorge Ausdruck, welche
das Hecht des hülflosen Kindes zu jener Zeit zu wahren
bestrebt war. Nicht nur die Mutter, auch der Vater hielt
mit rührender Gewissenhaftigkeit auf dieses Recht. Solch
ein Zug wird uns von dem edlen Thüringergralen Friedrich
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