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352 Psychische Studien. XVII. Jahrg. 8. Heft. (August 1890.)
mit der gebissenen Wange berichtet. Als er von seinen
Feinden, welche die Stadt Eisenach besetzt hielten, auf der
Wartburg eingeschlossen war, gebar ihm seine Gemahlin
eine junge Tochter. Die Noth der Bedrängten ward aber
zu gross, und so floh er mit einigen Getreuen, der Amme
und dem Töchterlein zu Pferde heimlich von der Burg.
Die Feinde aber erblickten ihn und jagten ihm in den
Bergwald nach. Auf der wilden Flucht begann das
Kindlein heftig zu schreien. Da rief Friedrich der Amme
zu, die er vor sich her reiten Hess, was dem Kinde wäre,
sie sollte es beruhigen. Die Amme aber sprach: — 'Herr,
es schweiget nicht, es sauge denn!' — Darauf Hess der
Graf, während die Feinde ihm dicht auf den Fersen waren,
den ganzen Zug halten und sagte: — 'Um dieser Jagd
willen soll meine Tochter nichts entbehren, und kostete es
ganz Thüringerland i' — So hielt er mit dem Kinde und
stellte sich mit den Seinigen zur Wehre, so lange, bis sich
die Tochter satt getrunken hatte; und es glückte, sagt
der Chronist, dass er die Feinde abhielt und ihnen entrann
." ..
„Das Kind ist von seinem ersten Athmen an dem
Deutschen Gegenstand rührender Fürsorge, und das
Volksrecht berücksichtigt den Neugeborenen und die
junge Mutter so liebevoll, als wäre es der Vater des hilflosen
Kindleins. Es gebietet, dass der 'Steuereintreiber,
der die Zinshühner zu fordern hat/ wenn er eine Wöchnerin
im Hause findet , nur den Kopf des Huhns abbrechen und
mitnehmen, das Huhn aber rückwärts in's Haus werfen
soll, damit die Wöchnerin sich daran labe. Und eine andere
Verordnung mahnt, der Steuererheber solle *tlen Pfennig
also gütlich heben, dass er das Kind in der Wiege nicht
wecke und das Huhn auf der Stange nicht erschrecke.*
„Wie das (so gemüthvolle urdeutsche) Recht dem unschuldigen
Kinde gerecht wird, so erweist es auch dem
'Schuldigen' die edle Rücksicht der Menschlichkeit. Einer
der gemüthlichsten Züge des mittelalterlichen Volksrechts
ist uns aus dem Elsass und der Rheingegend überliefert.
Kommt ein fliehender Missethäter an einen Strom und ruft
dem Fährmann zu: — 'Fahr über', so soll der Ferge ihn
übersetzen. Kommt aber der Verfolger hinter ihm und thut
denselben Ruf, so soll der Fährmann, wenn er schon vom
Lande gestossen hat, den Flüchtigen überfahren und erst
dann den Verfolger. Hat er aber noch nicht vom Ufer
gestossen, so soll er den Fliehenden vorn in den Kahn
setzen, den Verfolger aber ganz hinten, er selbst aber soll
sich zwischen Beide stellen. Wenn er dann ans Land
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