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398 Psychische Studien. XVII. Jahrg. 9. Heft. (September 1890.)
nicht den Muth besessen zu haben, seiner angesehenen
Gemeinde seine gewonnene Ueberzeugung von der Wahrheit
der Phänomene gelehrt zu haben. Er ermahnt seine Zuhörer
zur Entwickelung der in jedem Menschen mehr oder
weniger innewohnenden mediumistischen Anlage und zur
Bildung spiritualistischer Cirkel in deren eigenen Familien.
Nach Beendigung dieser ungefähr eine Viertelstunde
in Anspruch nehmenden Rede folgt lautlose Stille. Dann
stimmt das Medium die reizende Melodie eines Liedes an,
dessen Refrain aus den Worten besteht: — „In dem sonnig
schönen Lande". — Der Gesang wird nach wenigen Minuten
unterbrochen, denn „Sunshine" lässt sich vernehmen und
kündigt die Anwesenheit eines lieblichen Wesens an, dessen
Name keinem der Anwesenden ausser mir bekannt ist.
Und wie früher in den Tagen längst verschwundener
Kindheit und später in ihren Briefen an den seit zwanzig
Jahren von ihr getrennten Bruder begrüsst sie ihn mit dem
zum Herzen gehenden: — „Grüss Dich Gott, mein lieber
theurer Bruder, wie glücklich bin ich, wie unendlich
glücklich!" — und nachdem auch ich meine mir theuere un-
vergessliche Schwester mit einem von ganzer Seele kommenden
„Gott sei es gedankt, Du bist es, meine herzliebe Pauline"
begrüsst, schied sie mit einem „Gott segne Dich, Hermann,
aufs Wiedersehen!"
Nachdem ich meiner freudigen üeberraschung mit einigen
an die Anwesenden gerichteten Worten Ausdruck verliehen,
liess sich ein vor Jahren verstorbener Dr. Debronla vernehmen
und erklärte die Art und Weise, wie die in Liebe mit den
Zurückgebliebenen verknüpften Wesen durch das im Medium
innewohnende, magnetische Fluidum und unter Leitung
sympathischer Führer oder auch unter eigenem Antrieb
und gewordener Offenbarung zufolge in den Stand gesetzt
werden, sich auf Grund gewisser Gesetze und Phasen der
ihnen zu Gebote stehenden Mediumität zu offenbaren, ihre
Anwesenheit kund zu thun und sich in der, auch nach dem
Hinscheiden für kürzere oder längere Zeit anhaftenden
Individualität, die ihnen während des irdischen Lebens
eigen war, zu erkennen zu geben.
Mit der Aufforderung zum Singen unterbricht der
unsichtbare Lehrer seine Unterweisung, und nachdem seiner
Aufforderung Folge geleistet wurde, lässt sich die von ruheloser
Sehnsucht nach ihrem nicht anwesenden Gatten
erfüllte und vor Jahren ihm im Tode vorangegangene
Lebensgefahrtin eines meiner Freunde vernehmen. Sie bat
mich inständigst, ihren Mann von ihrem Verlangen, mit
ihm vereinigt zu sein, zu unterrichten; ihm zu sagen, dass
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