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442 Psychische Studien, XVII. Jahrg. 10. Heft. (Oktober 1890.)
geht doch nichts über die Poesie! Heute steht die Leasing-,
die Canalstrasse, und was weiss ich noch, darauf. — Wer von
den geehrten älteren Bewohnern unserer lieben Stadt
Leipzig erinnerte sich nicht noch des imposanten Eingangs,
der, vom Fleischerplatze aus, über die Brücke der Pleisse
durch ein sehr breites und hohes, mit vergoldeten Spitzen
versehenes Eisenthor führte, durch das man erst, von dieser
Seite aus, in den Garten eintreten konnte? Von den
Flüssen Pleisse, Elster und im Westen von dem sogenannten
„Diebesgraben" (einem starken Bache) begrenzt, der seinen
Namen, laut einer Erzählung meines Grossvaters, einer sehr
tragischen Begebenheit, die ich am Schlüsse ganz kurz
erwähnen will,*) verdankt, musste dieser Garten als eine
förmliche Insel erscheinen. Sind wir nun durch dieses
schöne Thor in den Garten eingetreten, so führt uns ein
recht hübscher, breiter, immer mit feinem Kies bestreuter
Hauptgang bis dicht an das Ufer der Elster, von dem der
Garten, von dieser Seite aus, begrenzt wird. Auf der
rechten Seite erblicken wir ein durch Blumen- und Zier-
pflanzen-Bosquets vom Hauptgang getrenntes, nettes, zweistöckiges
Wohnhaus mit daran grenzendem Gewächshaus,
neben dem ein einfaches Eisenthor den Eingang von der
Strasse: Naundörfchen (neues Dörfchen) ermöglichte, zu
der man, vom Fleiscberplatz aus, über ein schmales,
hölzernes Briickchen gelangen konnte, das man in früherer
Zeit, wohl auch noch jetzt, aus welchem Grunde weiss ich
nicht, obwohl diese Benennung ihre Entstehung einer
humoristischen (?) Episode zu verdanken haben dürfte,
„Hahnreibrücke", und die Strasse (Naundörfchen), wohin
sie führte, „Hahnreigässchen" nannte. Hierüber schweigt
die Geschichte. — Von diesem Eingang aus war im Garten
ein hübscher Weg angelegt, der in den Hauptgang einmündete
. Hier an der Einmündung stand seinerzeit das
historisch und berühmt gewordene Denkmal des 1813 beim
Kückzug der Franzosen in den Fluthen der „Elster"
ertrunkenen Fürsten Poniatorvsky, des ehemaligen Führers
der mit den Franzosen verbündeten polnischen Legion. —
Da ich glaube, dass an dieser Stelle wohl der geeignetste
Platz sein dürfte, wo ich einer wunderbaren, den Fürsten
betreffenden Propbetie der Chiromantie Erwähnung thun
dürfte, so gestatten Sie mir, dass ich dieselbe hier erzählen
darf. — Als der Fürst noch als junger Prinz in seinem
elterlichen Hause lebte, fiel es dem Vater desselben
*) Siehe den Scbluss des II. Artikels im folgenden November-
Heft er.
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