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Wittig: Noch eine Version Uber die Geisterersoheinungen. 473
Folgendes sein. Johann Gottfried Schadow, der Stifter der
Berliner Bildhauerschule, starb am 27* Januar 1850 als
87jähriger Greis. „Er war ein Berliner, ein Handwerkerssohn
, mit einer Handwerkerstochter vermählt, die er, kaum
ein Zwanziger damals, sogar erst entführen musste, um sie
zu heirathen. Ein energischer Mann, der seinen Willen in
Allem durchsetzte... Sein eigener Character, dieses starke
Gefühl für die Kealität, wies ihm den neuen Weg. Er ging
auf Kosten des Schwiegervaters nach Rom, kam jedoch,
schon 25jährig, nach Berlin zurück, an Tassaerfs, seines
Lehrers, Stelle zum Hofbildhauer und Rector der Akademie
der Künste berufen, deren Director er 1816 ward und bis
an sein Ende blieb. Sein erstes Werk, nach der Heimkehr,
war das Denkmal des Grafen Alexander von der Mark, in
der Dorotheenstädtischen Kirche, 1790; sein zweites, wenig
später, die Victoria des Brandenburger Thores. In dem
Siegeswagen, welcher hoch aufgerichtet über den Linden
steht, erscheint er gleichsam selber wie ein Herrscher, der
Besitz von seinem Reich ergreift; mit allen Triumphen,
welche das Viergespann gesehen, ist der seine verbunden.
Historisch weniger bedeutsam und über dem Lärm der
Strasse nicht den bewundernden Blicken täglich sich
erneuernder Menschenmengen ausgestellt, aber in seiner
herben und schwermüthigen Schönheit vielleicht nur um so
mehr die Tiefe der Seele bewegend, ist das Grabdenkmal,
welches sich in der feierlichen Stille der Dorotheenstädtischen
Kirche verbirgt. Dem König Friedrich Wilhelm IL war ein
geliebter Sohn, der junge Graf von der Mark, im zartesten
Knabenalter gestorben, und diesem das Grabmal zu bereiten,
ward Schadow beauftragt. Auf dem Sarkophag ruht der
Knabe — schlummernd, aber jenen Schlummer, aus dem
kein Erwachen mehr ist. Seinem Haupt ist der Helm,
seiner Rechten das Schwert entsunken. Ein liebliches Bild,
unendlich ergreifend in seiner Unschuld und Schönheit, und
wie von einem letzten zögernden Abschiedsstrahl des
Lebens verklärt. Niemals aber mag der Schmerz eines
solchen Abschiedes erschütternder ausgedrückt worden sein,
als in dem weissen Bildwerk am grauen Marmorsarg, welches
den holdseligen Knaben zeigt, wie er, noch ganz von warmem,
blühendem Leben erfüllt, heftig sich sträubt, von der Göttin
getrennt zu werden, die ihn eben in ihre Schule der Künste
und Wissenschaften aufnehmen will, und dem Tode zu
folgen, der ihn in die schaurige Nacht eines Eelsengewölbes
mit fortreisst. In diesem verzweiflungsvollen, aber vergeblichen
Kampfe des Knaben scheint die Natur selber zu
sprechen, und des fundamentalen Unterschiedes werden wir
Psychische Studien. Oktober 1890. 3l
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