http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1890/0518
510 Psychische Studien, XVII. Jahrg. 11. Heft. (November 1890.)
meine subjeetiven Ansichten über den sogenannten
Selbstmord hier niederlegen; meine verehrten Gesinnungsgenossen
und solche, die in dergleichen Erfahrung haben,
werden mich schon verstehen und dieselben vielleicht einer
freundlichen Prüfung unterwerfen.
Ich habe schon vorher bemerkt, dass gerade dieser
Theil der Elster, vom Garten aus nach der sogenannten
Heiligen Brücke zu, ein Lieblingsplatz war und wohl noch
ist, wo die arme leidende Menschheit beider Geschlechter
durch Ertrinken eine Erlösung von ihren irdischen Mühseligkeiten
zu finden vermeinte. Das ist wohl ein trauriger
Irrthum, auf den uns schon Shakespeare so wohlmeinend
und warnend aufmerksam macht Siehe Hamlefs Monolog:
— „Sein oder Nichtsein — das ist die .Frage! — Die
Kechnung mit dem Dolebe tilgen — schlafen ? — Ja, aber
was in diesem Schlaf für Träume kommen mögen!" u. s. w.
— Nun, wer soll denn träumen, wenn alles vernichtet
worden ist? — Die völlige Zerstörung des Menschen ist
eben eine Unmöglichkeit. Der Selbstmord ist nur Zerstörung
des phänomenalen Ichs, — wer mehr darin
sieht, ist sicher im Irrthum. Die irdischen Leiden schwinden,
aber es müssen andere an ihre Stelle treten, wenn sonst
ihr Zweck, den Menschen zu entwickeln, erreicht werden
soll. Wo bliebe denn die Theorie von der bewussten Portdauer
des Menschen, worauf alle mir bekannten .Religionen
beruhen? Ist denn diese, die Theorie, eine bewusste
oder unbewusste Täuschung von denen, die das lehren?
Wer soll denn die Verantwortung über unser Thun und
Lassen haben, wenn alles vernichtet worden ist? Also
die vorzeitige Zerstörung unseres Körpers, der Selbstmord,
kann keinen Nutzen, sondern nur Schaden für uns haben
und ist deshalb ein beklagenswerther Irrthum. Der Apostel
Paulus sagt im Urtext 1. Brief an die Corrinther, Kap, 15,
Vers 44: — „Ist ein natürlicher Leib, so ist auch ein
geistlicher Leib" u, s. w. Kant spricht an einer Stelle seiner
„Kritik der reinen Vernunft"; — „Der Mensch ist wohl ein
Subjekt, aber es sind zwei Personen." — Das innere Ich,
der Organisateur, das, was wir mit Seele bezeichnen, ist
der eigentliche, wahre und unzerstörbare Mensch.
Aus allem diesen geht doch hervor, und ich könnte noch
weit mehr anführen, dass der Selbstmord, das unzeitige
Zerstören des sichtbaren Körpers, ein bedauernswerther
Irrthum ist.
Wenn man behauptet, das Denken sei ein Ergebniss
der Nerven- und Gehirnthätigkeit, so ist der Tod das Ende
jedes individuellen Daseins, und in der That hat sich dieser
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1890/0518