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Schulz: Einige spukhafte Erlebnisse im alten Leipzig. 511
Unglaube als Glaube bis in die niedersten Volksschichten
verbreitet und diesen jeden religiösen Trost
geraubt, dessen sie in den Kämpfen des Lebens so sehr
bedürfen. Der Raub des Glaubens an die persönliche,
bewusste XJnsterblicbkeit, an die Konsequenzen seines
irdischen Thuns und Lassens in einer übersinnlichen Welt
ist der grösste Fluch, den die Wissenschaft der Zeit über
die Menschheit verhängt, „Die Mordwaffe zur Hand!" ist
das Losungswort unserer Zeit, — denn mit dem Tode ist
der Mensch aller Verantwortung, aller Leiden entrückt.
So folgt es aus den modernen Lehren der materialistischen
Naturwissenschaft. — Wer freilich in dieser Naturwissenschalt
unumstössliche Wahrheit zu finden glaubt, dem werden
meine Erzählungen auch nichts nützen, — der schreit: —
„Unsinn, Hallucination, oder gar noch viel Schlimmeres.
Ein vernünftiger Mensch glaubt das nicht, der geht
eben, wenn's nicht mehr gut mit ihm steht und er den
nöthigen Muth besitzt, in die Elster und ertränkt sich —
denn dann ist ja alles vorüber."
Schluss.*) Ein Herr X, der, als die Revolution in
Frankreich ihre schauderhafte Blutarbeit verrichtete, um
sein Leben zu retten, schleunigst fliehen musste, hatte
vielleicht in grosser Angst vergessen, sich mit baaren Reisemitteln
zu versehen und nur einen mit werthvollen Steinen
besetzten Schmuck mit sich genommen. Als er sein Leben
über der Grenze Frankreichs in Sicherheit gebracht hatte,
war er, um dasselbe zu fristen, genöthigt, sich gangbares
Geld zu verschaffen, was er durch Verkauf eines Steines,
den er seinem Schmucke ausbrechen lassen wollte, zu
erreichen hoffte. Er geht nun zu einem ihm genannten
Goldschmied, fragt, ob er ihm den Stein ausbrechen und
abkaufen wolle, was der Goldschmied sogleich bejaht, sich
aber ausbedingt, dass das Geschäft, schon der Arbeit wegen,
erst morgen perfect werden könne, und solle ihm der Fremde
den Schmuck bis dahin überlassen. Da der Goldarbeiter
dem Herrn X empfohlen war, so nahm der Schmuck-
eigenthümer den Vorschlag ohne allen Argwohn an. Als
am anderen Tage der Handel abgeschlossen werden soll,
bietet der Goldschmied auf den Stein, dessen Werth der
Eigenthümer hinreichend kannte, so wenig, dass der Handel
eben nicht zu Stande kommt. Darauf begiebt sich Herr X,
zu einem anderen Gold- und Schmuckhändler, da findet es
sich, o Schreck! dass alle die so werthvollen Steine aus-
*) Vergl. die zugehörige Stelle mit Note auf S. 442 des October-
fleftes er.
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