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Wittig: Professor Preyer im Kampfe gegen die Lebenskraft. 523
Function und deren Organ kann er das behaupten! Was
heisst denn das, wenn er sagt, es sei „eine weitverbreitete
aber unrichtige Anschauung, als wenn die physiologische
Function sich überhaupt nicht entwickeln könne, sondern
nur das Substrat, nur der körperliche Träger derselben"?
Ist das kein Dualismus? Kein Widerspruch zwischen der
Function und deren Organ? Ist das kein „Sphinxgesicht"
seiner Function, das zwischen den körperlichen Trägern oder
Organen derselben hervorlugt? Nach seiner Meinung sollen
die Vitalisten „andere Kräfte im lebenden Körper als im
Krystall, ganz andere im Gehirn als im Stoffe, aus dem das
Gehirn gemacht ist, als waltend annehmen, andere im jungen
Protoplasma als im alten/4 Ei, wenn die physiologischen
Functionen sich immer weiter entwickeln können und zuletzt
aus dem Fisch eine Eidechse, aus dieser ein Vogel, aus
dem Vogel ein Säugethier u. s. w. werden können, sind da
denn nicht immer ganz andere Kräfte schon im Wasser als
in der blossen Luft wirksam ? Sicher sind die Lebenskraftgläubigen
nicht so geistesbeschränkt, ein sie alle verknüpfendes
Band der (geistigen) Entwickelung zu leugnen. Aber nur
so lange sie sich wirklich nachweisbar aus einander entwickeln.
Wird dieser Nachweis nicht erbracht, so ist es erlaubt, anzunehmen
, dass ganz andere, d. h. also specifisch verschiedene,
nicht an bestimmte Organismen unserer Erfahrung gebundene
Kräfte zur Bildung neuer Gestalten wirksam waren. Diesen
Glauben, der durch Herrn Preyer's eigene Beispiele zur
festen üeberzeugung wird, dürfte er schwerlich bei gründlichen
Sachkennern seiner Physiologie erschüttern.
So lesen wir z. B. in Dr. A. E. Brehm1* populären Vorträgen
„Vom Nordpol zum Aequator" (Stuttgart, Union,
1890) Lief. 5 und 6 über die sogen. Affenfrage: — „So
lange die Umwandlung einer Art in die andere noch in
keinem Falle festgestellt worden ist, sind wir berechtigt,
Menschen und Affen als verschiedenartige Wesen zu betrachten
and die Abstammung des einen von den anderen
zu bestreiten. Wir mögen den Affen unbekümmert die
Stellung einräumen, welche unbefangene Prüfung in der
Reihe der Wesen ihnen anweist. Als die uns am meisten
ähnelnden Thiere oder unsere nächsten Verwandten im
thierkundlichen Sinne dürfen wir sie anerkennen; weitergehende
Rechte müssen wir ihnen versagen. Vieles, was
dem Menschen eigen, wurde auch ihnen beschieden, von
wirklichem Menschenthume trennt sie eine noch immerhin
weite Kluft. Viel, aber bei weitem nicht alier Mensch ist
in ihnen verkörpert wie vergeistigt." — Auch die neuesten,
aus Inner-Afrika ins Berliner Aquarium gelangten „ Schlamm -
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