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528 Psychische Studien. XVII. Jahrg. 11. Heft (November 1890.)
tragung unserer Erlebnisse von Person zu Person erst recht
möglich sein, da doch nicht die Apparate, sondern eigentlich
nur unsere Seelen allein vermittelst der Apparate wahrnehmen
. —
Endlich erwähnt Herr Dessoir „noch einige Fälle, in
denen selbst diese Vermuthungen nicht zureichen, und zwar
deshalb nicht, weil die gesehener Ereignisse erst
künftig geschehen sollten. Was noch rieht geschehen und
in seinen Einzelnheiten nicht vorauszusehen ist, kann aber
weder aus dem Erinnerungsschatze der eigenen Seele, noch
aus der Fern Wirkung eines Anderen stammen, es muss also
ein zeitliches Hellsehen angenommen werden." In
Nr. 36 berichtet die vorerwähnte Miss von der Gestalt
eines Mannes im Krystall, den sie drei Tage später bei
einem ausbrechenden Feuer als einen rettenden Feuerwehrmann
wieder erkannte. Dessoir warnt vor Gedächtnissfälschungen
, sobald eine Vorauserwartung hinzutrete, oder
dass eine nur ähnliche Vision später für eine dem
Ereigniss ganz gleiche angesehen werde. Das scheint
hier so wenig der Fall, wie beim folgenden Nr. 66, wo sie
zwei Briefe auf einander liegen sah, deren unterer einen an
den Ecken eingerissenen Umschlag trug. In Wirklichkeit
brachte der Postbote zwei solche Briefe. Die Berichterstatterin
machte, wie in den meisten ihrer Erlebnisse, sofort aus
Princip eine Notiz über ihre Hallucination. Herr Dessoir
meint: — „mit solchen Berichten, so ausserordentlich
daokenswerth sie sind, kann die Wissenschaft augenblicklich
nichts anfangen." — Wir sind hierin doch etwas anderer
Meinung. Diese beiden Fälle verweisen ja deutlich auf eine
ganze Menge anderer Visionen, auf die wir anderthalb
Jahrzehnte lang unter der Rubrik: — „Leichenseher" und
„Horchengeher" hingewiesen haben, welche ebenfalls zukünftige
Ereignisse voraus erblicken. Diese Fälle scheinen
uns genügend erhärtet. Ob sie aus der Quelle von Jenseits
herüber uns wahrsagender Geister, oder ebenfalls aus der
Fernschaukraft unseres eigenen Geistes in Zeit und Raum
stammen, ist freilich noch ein ungelöstes Problem: — aber
deshalb existiren die Thatsachen, selbige sind von der
vergleichenden Wissenschaft zu registriren und zu studiren,
und dadurch wird mit der Zeit schon Aufklärung in das
noch herrschende Dunkel kommen.
Wir können Herrn Dessoir auch nicht so ganz bestimmt
beipflichten, wenn er behauptet: — „Ein Eingreifen fremder
„'Geister* in unseren psychophysischen Organismus, die
„Annahme: unkörperliche Wesen benutzten unsere Nerven
„zu äusserlichen Zwecken, widerspricht der gesammten
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