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Müller: Wie ich Spiritualist geworden bin.
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kann, bis die Maschinerie abgenutzt ist und deren Tod
eintritt; dies sei das Ende, der Körper zersetze sich alsdann
und kehre wieder zu den Elementen zurück, aus denen er
zusammengesetzt war.
Aus verschiedenen Gründen setzte ich meine Studien
an der Universität in Bonn nicht fort, und nach einer
kurzen Rundreise in England kam ich herüber nach
Hamburg, woselbst ich später das Glück hatte, die Bekanntschaft
mehrerer Medien zu machen, welche mir in
meinen spiritualistischen Studien eine grosse Beihilfe geleistet
haben*
Es war zuerst meine Absicht gewesen, einen Bericht
über einige merkwürdige spiritualistische Seancen zu geben,
denen in London beizuwohnen ich das Vergnügen hatte;
aber da der Herausgeber der ,,Psyeh. Stud.", Herr Staatsrath
Alexander Aksakorv zu St. Petersburg, den Wunsch
äusserte, dass ich eine Skizze davon entwerfen möchte, wie
ich überhaupt zum Studium des Spiritismus kam, so erfülle
ich seinen Wunsch hiermit und beginne mit meinen ersten
Experimenten in einem spiritualistischen Cirkei.
Ich hatte zuweilen schon Gelegenheit gehabt, bei sogenannten
Tischrücker-Sitzungen mitanwesend zu sein, die
ich aber als einen zeitweiligen Zustand von Mondsucht
auf Seiten der Sitzer betrachtete, für die ich, um die
Wahrheit zu sagen, eine Art von Mitleid empfand.
Hierauf begann ich einige Werke über Spiritualismus
und Spiritismus zu lesen und war erstaunt, zu finden, dass
in der Welt der Wissenschaft, Kunst und Litteratur wohl
bekannte Männer die Wahrheit dieser Phänomene bestätigten,
und ich begann zu glauben, dass doch nach allem diesen
Etwas daran sein müsse; selbstverständlich setzte ich dieselben
nicht einen Augenblick auf Kechnung der Wirksamkeit
abgeschiedener menschlicher Geister, sondern auf diejenige
der Theorien unbewusster Oerebration, der Muskel-Vibra-
tion u. 8. w., und erachtete für jeden Fall, ob Illusion oder
nicht, den Gegenstand für des Interesses werth.
Eines Abends arrangirte ich eine Tischsitzung in meiner
Wohnung zu Hamburg. Die Theilnehmer waren meines
Hauswirths beide Töchter, eine alte Dame und ich. Ich
selbst war der einzige Anwesende, der wenigstens mit den
Phänomenen bekannt war, während die übrigen nichts davon
wussten und sich über die feierliche Sache, in der wir
Sitzung hielten, höchlich amüsirten. Wir hatten kaum fünf
Minuten gesessen, als der Tisch heftig kippte; selbstverständlich
wurde ich als der Schuldige bezeichnet, man
glaubte, dass ich der Kipper wäre, und manchmal glaubte
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