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Müller: Wie ich Spiritualist geworden bin.
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Zusammenkünften gesehen habe. Ich wohnte ihnen nur bei
als Zuschauer, nicht als Forscher.
Der grosse Stein des Anstosses im experimentellen
Spiritualismus ist die Art und Weise, in welcher spirituali-
stische Seancen gehalten werden; diese führen in der Regel
zu wenig oder gar keiner Ueberzeugung bei denjenigen
Theilnehmern, welche keine blinde oder phantastische
Gläubige sind.
Jüngst haben mehrere recht erfolgreiche Materialisations-
Sitzungen stattgefunden bei rothem oder gelbem Lichte
anstatt der totalen oder halben Dunkelheit, welche bisher
für stets nothwendig bei einer spiritualistischen Sitzung
erachtet worden ist; man hat nämlich gefunden, dass die
Wirkungen des rothen oder gelben Lichtes dem Material,
aus welchem die Materialisations-Gestalten gebildet werden,
nicht nachtheilig sind.
Ein eben solcher Anstoss ist die unwissenschaftliche
Art und Weise, in welcher diese Seancen so oft gebildet
werden. Warum können die Sitzungen nicht auf einer
wissenschaftlicheren Basis durchgeführt werden, als dies
gegenwärtig geschieht? Mit Geduld werden und müssen
die Resultate befriedigend ausfallen, wenn die spiritualistischen
Seancen auf eine solche Weise abgehalten werden,
dass selbst von den Skeptischesten kein Zweifel über die
Echtheit der Phänomene mehr gehegt werden kann.
„Quid juvat adspectus, si non conceditur usus?"*)
Schliesslich erlaube ich mir zu konstatiren, dass, obgleich
ich ein „Spiritualist" bin, ich mich doch noch keinen
„Spiritisten" in der wahren Bedeutung dieses Wortes
nennen kann. Ich bezeichne einen Spiritualisten als den
Gegensatz zu einem Materialisten; ein „Spiritualist" braucht
nicht nothwendig an die spiritistischen Theorien mit
Bezug auf die Phänomene des modernen Spiritualismus zu
glauben, während ein „Spiritist" an solchen festhält.
„£ch bin ein „Spiritualist", weil ich an die Existenz
eines „Geistes" und einer „Seele" in mir glaube. Ich betrachte
den „Geist" nicht für das Resultat des Organismus.
Ich halte das „Denken" für das Resultat des „Geistes" und
das „Ich" oder „Ego" als die Resultante von drei Kräften:
— der „Psyche" (Seele), dem „Pneuma" (Geiste) und dem
„Sorna" (Körper).
Es erhebt sich die Frage: — „Was ist nun dieses
'Ego'?" — Da sich die Wissenschaft des Spiritualismus
*) Das heisst: — „Was hilft die Anschauung, wenn die Wirklichkeit
nicht damit übereinstimmt?'' Anm. des Uöbers.
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