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Wittig: Eine Werwolf-, Kobold- üttd Hexen-Sage etc. 33
bei Seite, ich setze mich, trällere ein Liedchen und zähle
die Leichensteine. Wie ich mich wieder nach meinem
Gefährten umsehe, zieht er sich aus und legt alle seine
Kleider neben die Landstrasse hin. Mir blieb der Athem
im Halse stecken, ich stand da wie ein Todter. Aber jener
zog einen Kreis um seine Kleider und wurde plötzlich ein
Wolf. Glaubt nicht, dass ich scherze: man könnte mir das
grösste Vergnügen anbieten, so würde ich dafür nicht lügen.
Aber, was ich eben sagte, nachdem er ein Wolf geworden
war, fing er an zu heulen und lief in die Wälder. Anfangs
wusste ich gar nicht, wo ich war; dann ging ich heran,
um die Kleider aufzuheben: sie waren zu Stein geworden.
Wer konnte da mehr als ich halb todt vor JFurcht sein?
Doch ich zog meine Plempe und hieb auf dem ganzen
Wege immerfort nach den Gespenstern, bis ich auf den
Hof meiner Freundin kam. Wie Einer, der schon im
Grabe gelegen hat, kam ich an, beinahe wäre es mein
letztes Stündchen gewesen; der Schweiss lief mir in zwei
Strömen von der Stirn herunter, die Augen waren wie
blind, kaum konnte ich mich erholen. Meine Melissa
wunderte sich, dass ich so spät unterwegs war, und sagte:
— ,Wärest Du früher gekommen, so hättest Du uns
wenigstens beistehen können, denn ein Wolf brach in den
Hof ein und fiel alles Viel) an; wie ein Fleischer zapfte
er ihnen Blut ab. Aber es ist ihm übel bekommen, wenn
er auch davon gekommen ist: unser Knecht hat ihm den
Hals mit einer Lanze durchbohrt. 'Als ich das gehört
hatte, konnte ich kein Auge mehr schliessen, sondern wie
es ganz hell geworden war, lief ich spornstreichs nach dem
Hause unseres Gajus, und als ich an den Ort kam, wo die
Kleider zu Stein geworden waren, fand ich nichts als Blut.
Als ich aber nach Hause kam, lag der Soldat auf dem
Bette und blutete wie ein Ochs, und ein Arzt verband
seinen Hals. Da sah ich wohl, dass er ein Wehrwolf war,
und ich konnte seitdem keinen Bissen Brod mit ihm zusammen
essen, nicht wenn man mich todt geschlagen hätte.
Mögen Andere denken, was sie wollen, aber mir mögen
eure Schutzgeister nicht gnädig sein, wenn ich lüge.' —
„Als Alle vor Staunen stumm waren, sagte Trimalchio:
— 'Ohne dass ich damit etwas gegen Deine Erzählung
sagen will, mir, das könnt ihr glauben, haben sich die
Haare auf dem Kopf gesträubt, weil ich weiss, dass Niceros
keine Flausen erzählt: nein, man kann sich auf das, was
er sagt, verlassen, er ist kein Zungendrescher. Ich will
euch eine gruselige Geschichte erzählen. Als ich noch
langes Haar trug, starb der Lieblingsknabe unseres
Psychische Stadien. Januar 1891. 3
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