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6. H.: Wie man den Zauberspiegel mit Vorsicht verwerthen soll. 37
einem verschlossenen Briefe, worin sein Trau-Bing war. So
bald die Dame den Brief erbrach, sähe sie, dass er von
ihrem Herren wäre, indem sie zu gleich den eingeschlossenen
Trau-Bing dabey erkante. Eilete derowegen aus Liebe zu
ihrem Herren, um denselben zu umarmen. Wie sie zu
demselben kam, ward sie von ihm geführet in den nechst
« angelegenen Wald in der Intention, dass er sie daselbst
wegen begangenen Ehebruch stranguliren mögte. Wie sie
nun beyderseits an den beschlossenen Mordplatz kommen
waren, wird der Mann, ehe er sein Weib gewaltsamer
Weise angriff, durch ihre schöne Gestalt und Liebkosungen
eingenommen, und fraget zuforderst, was sie an dem gewissen
Tage gethan? Ob sie nicht in denselben Saal ihres Hauses
in solchen Habn gegangen, etwas m den Händen gehabt,
dabey sich verhalten also ? wer der junger Mensch gewesen,
der hinter den Ofen gestanden, und die Hosen biss auf die
Knie nieder sinckend gehabt? Alhier verwunderte sich das
Weib zwar über ihres Mannes reden; aber ihr gutes Gewissen
, welches Laster-frey war, hiess sie unerschrocken den
Verlauff der Sachen reden; dass sie nemlich ein Pflaster
bereitet gehabt zu dem Geschwür ihres Bruders Friedrichs,
der ein solches an den Schooss, oder an der Heffte ober
den Hüfften gehabt. Wie er dessen selbst lebendiger Zeuge
seyn könte. Auf solche freymüthige Bekänntniss des Weibes
wird der Mann anders Sinnes, und an statt des vorgenommenen
Mordes, umarmet er sie, als seine Gemahlinn
mit tausenderley Liebkosungen, und begibt sich, nach genommenen
Abschied, wiederum in sein Exilium, dabey nicht
wenig detestirend die Zauberische Beweglichkeiten, und
teufflische Anreitzungen, welche ihn schier zum Mord seiner
Ehe-Gemahlinn ausgetrieben hatten, da sie doch ein Tugend-
Bild der Keuschheit, und eine Feindin aller verfluchten
Geilheit war." —
Zusatz der Redaction. — Lübeck, 18. November.
— Aus unserer Umgegend wird über einen Fall krassen
Aberglaubens berichtet. Im Dorfe B, starb trotz aller
aufopfernden Pflege ein kleines Mädchen. Die Mutter
glaubte nicht an einen natürlichen Tod ihres Kindes, und
bald stand es bei ihr fest: das Kind war behext worden.
Eine „weise J?rau", deren es leider in Lübeck viele giebt,
stärkte die Bethörte in ihrem Glauben, machte ihr für
schweres Geld allerlei Schwindel vor und liess sie zum
Schluss einen Blick m ihren Zauberspiegel thun, um Diejenige
zu sehen, die ihrem Kinde etwas angethan. In der
erschienenen Eratze will nun die Mutter das Antlitz einer
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