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Wittig: Psychische Wunder, oder blosse Kunststücke? 39
Hellseher. Er trat in die Bude des frevelhaften
Fleischers, sagte ihm seine That ins Gesicht und stieg
dann, von dem bebenden Fleischer begleitet, in den Keller,
wo sich die Stücke der geschlachteten Kuh befanden. Hier
liess er die Haut ausbreiten, die Fleischstück eund Eingeweide
an den richtigen Ort auf die Haut legen. Die
Haut ward zusammengefaltet, und nun machte Fra Egidio
mit seinem Stricke das Zeichen des Kreuzes darüber und
sprach: — ,Im Namen Gottes und des heiligen Pasquale
stehe auf, Katarinella V — so hiess die Kuh. Sofort brüllte
die Kuh, bewegte sich und stand lebend auf den Füssen,
gesund wie vorher. Dann legte er dem Thiere einen Strick
um den Hals und führte es heim/ — Dieses Schauerwunder
war am Festtage des Heiligen neben der Kirche auf Leinwand
gemalt ausgestellt, und nun fragen wir blos: — Ist
das noch Christenthum oder Heidenthum, und zwar ein
recht ruppiges, geistloses, dessen sich kein gebildeter Grieche
oder Römer aus Perikles1 oder Cato\ Zeiten schuldig gemacht
hätte?" —
Wer so fragt, kennt so recht eigentlich die Griechen
und Kömer nicht, deren Götterglaube vor und
nach Homer noch ganz andere Wunder enthält; wir verweisen
beispielsweise nur auf die von Hermann Biels berichteten
„Heilwunder" auf zwei neuerdings aufgefundenen
Tafeln im Asklepios-T empel zu Epidauros (s. „Psych. Stud."
September- und October-Heft 1888 S. 392 ff.); aber auch
die Wunder der Evangelien und Apostelgeschichte scheinen
ihm nicht eingefallen zu sein, Ueber die eigentliche Art
dieser drei Wunder lässt sich freilich nicht eher genau
urtheilen, als bis auch die Zeugen und deren protokollarische
Darstellung uns aus den vatikanischen Akten bekannt
gegeben sind. Wenn dieselben nicht Träume oder Visionen
der Protokollanten, sondern wirklich tagwache Erlebnisse
gewesen sein sollten, so scheint uns Fra Egidio, wie der von
ihm mit angerufene heilige Paschalts, ein sogenanntes
„physikalisches Medium'* gewesen zu sein, dessen Typus uns
in Stade bei den Professor ZöV/ner'schen Experimenten ebenso
drastisch entgegentritt. Zöllner, einer der grössten Astrophysiker
der Neuzeit, war von der Wirklichkeit und Echtheit
der in seinen „Wissenschaftlichen Abhandlungen'
berichteten wundersamen Vorgänge ebenso fest überzeugt
wie der englische Physiker Crookes von denen Hornel, Miss
Cook's und anderer Medien. Auch protestantische Gelehrte
und Geistliche der Neuzeit treten für gewisse Heiligenwunder
ein, so z. B. Pastor Genizel für den „fliegenden" Heiligen
Joseph von Copertino (s, „Psych. Stud." October-Heft 1890
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