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Wiltig: Miss Annie Eva Fay in Leipzig,
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Ebenso erfolgte unter denselben Bedingungen das
Experiment mit dem springenden Ringe zweimal hinter
einander. Ich fand den kleinen Ring das erste Mal fest
in die Ohrmuschel eingeklemmt. Der Ring war vorher
Allen sichtbar von Mr. Pingree auf den Schooss der Miss
Fay gelegt worden. Ein schnelles Zuziehen und nach
wenigen Sekunden wieder begehrtes Aufziehen des Vorhanges
zeigte den Ring in seinen verschiedenen Lagen zuerst auf
dem Schoosse und zuletzt im Ohre der Dame.
Die einzige mitanwesende, scharf beobachtende Dame,
die Gattin eines Leipziger Mechanikus, ging nach Schluss
dieses Experimentes zu Miss Fay, welche noch immer ruhig
gefesselt dasass, ins Kabinet, kniete vor ihr nieder, umfasste
und befühlte sie ringsum mit ihren Armen, vermochte aber
nach ihrer gewissenhaften Versicherung keinerlei verborgenen
Apparat an ihrer ohnehin höchst schmächtigen und schlanken
Körperlichkeit und Bekleidung zu entdecken.
Hierauf wurde ich nach abermaliger Besichtigung der
Fesselungen durch den Hausherrn ersucht, mich mit Miss
Fay zusammen ins Dunkelkabinet zu setzen. Ich
hielt noch immer ihre Schnur an den Füssen. Ich kam
auf die linke Schmalseite des Kabinets hinter dem Vorhang
zu sitzen, während Miss Fay mir vis-a-vis auf der rechten
Schmalseite sass. Das eine Ende des Bügelbrettes, auf
dessen anderem die Latte befestigt war, an der Miss Fay's
Hände am eingeschraubten Ringe festgehalten wurden, war
mir zugekehrt, und ich stellte meine Eüsse darauf. Unsere
Kniee berührten sich. Auf Miss Fay's Schoosse lag das eine
Tambourin, während das andere nebst Klingeln, Guitarrc,
Mundharmonika und einem Bleeheimer auf der Erde zu
meiner Linken an der hinteren Wand des Kabinets lagen.
Auf das Tambourin ihres Schoosses hatte ich meine beiden
Hände sanft aufzulegen. Unter sie wurde von Mr. Pingree
ein langer zugespitzter Bleistift geschoben. Ihre Püsse
hielt ich noch gefesselt und den Strick um mein rechtes
Bein mehrfach gewickelt, das Ende aber in der rechten
Hand. Jede noch so leise Rührung und Bewegung ihres
Körpers hätte ich bemerken müssen. Ich hatte meine
scharfe goldene Brille auf und konnte im Kabinet mein
Vis-ä-vis und Alles deutlich erkennen. Ich sah die Augeu
der Miss Fay mir seltsam leuchtend entgegenfunkeln. Aber
ehe Mr. Pinr/ree den Vorhang, um den die aufmerksamen
Zuschauer im Halbkreise sassen, zuzuziehen begann,
breitete er mir zuvor ein seidenes Tuch über den Kopf
und verhüllte auf diese Weise mein Gesicht. Auch durch
dieses hatte ich noch einen hellen Lichtschimmer und konnte
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