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J34 Psychische Studien. XVIll. Jahrg. 3. Heft. (Marz 1891.)
Der Zudrang nach Les Boulassiers ist enorm. Schon
ist ein Wirthshaus entstanden, und zwei Weinkneipen haben
sich aufgethan, in welcher die Kranken warten, bis die
Reihe der Konsultation an sie kommt. Aber auch die
öffentlichen Behörden fangen an? sich für den Mirakelort
zu interessiren. Sie haben bereits — einen Arzt, meinen
Sie wohl? nein, einen Gendarmen nach Les Boulassiers
gesandt. Das Schönste bei der Sache ist, dass dieser Mann
mit dem Dreispitz und dem gelben Lederzeug absolut von
den wunderthätigen Eigenschaften des jungen Monlant überzeugt
ist. In Frankreich spasst man nicht mit der Ausübung
der ärztlichen Praxis ohne Ermächtigung. Aber was
geschieht denn hier? Ist der junge Montant ein Arzt, der,
wie dies jüngst in unserem allwissenden Preussen vorgekommen
sein soll, die Diphtheritis als Magenkatarrh
behandelt, bricht er Beine oder renkt er GKedinaassen aus?
Verweigert er die Heilung Der^n, welche nicht, wie die
grossen Spezialisten dies verlangen, Hunderte und Tausende
von Franken für ihren mindestens ebenso zweifelhaften,
zuweilen gefährlicheren Rath verlangen? Nichts von alledem
. Eine Beiührung, einige Striche — geh, Du bist
geheilt! Der Glaube macht selig, aber auch gesund. Meine
Leser halten mich für ein altes Kind, wenn ich ihnen
erzähle, wie ich an mir erlebt habe, dass es des eigenen
Glaubens gar nicht einmal bedarf, dass man nur dem an
seine Heilkraft Glaubenden still zu halten braucht, um
geheilt zu werden.
Ich war ein junger Mensch von achtzehn Jahren und
lebte m einem Forsthause zwischen Köpenick und Fürstenwalde
. Mit Eifer dem Studium der Naturwissenschaften
obliegend, unter dem Einftuss von Büchner und Schopenhauer,
befand ich mich in einem Stadium hochgradigen „Skeptieis-
mus". Eines Morgens nahm ich auf einer Waldkultur, auf
welcher von den bäuerlichen Arbeitern Kiefern -Pflanzen
gepflanzt wurden, an dieser Beschäftigung Theil und schnitt
mir bei dem Stutzen einer starr aus dem erdigen Ballen
stehenden Wurzel in die Kuppe des Zeigefingers der linken
Hand. Die Schnittwunde ist noch heute sichtbar. Mir war
darum zu tbun, dass meine Ungeschicklichkeit nicht bemerkt
wurde, und so hantirte ich, den Finger mit einem Taschon-
tuche umwickelnd, ruhig weiter, bis der rothe Lebenssaft
durch das Tuch drang und sich mit dem glitzernden Thau
am Boden mengte. Das Blut war in keiner Weise zu
stillen; die Arbeiter wurden aufmerksam, der Eine rieth
dies, der Andere jenes. Die Befolgung dieser llathschiäge
nutzte nichts. Da rief ein blitzsauberes Mädel ihren alten,
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