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du Prel: Der Nachtwandler.
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werden kann, worin eine weitere Analogie der beiden Zustände
liegt.
Damit stehen wir vor der wichtigen frage nach dem
Wahrnehmungsmodus der Nachtwandler. Handlungen, welche
den Gebrauch der Augen voraussetzen, verrichten sie mit
geschlossenen Augen, und solche, die Licht erfordern, in
der Dunkelheit. Zwar giebt es Nachtwandler mit offenen
Augen, aber die Starrheit des Blickes zeigt dann, dass die
Augen dabei nicht als Sehorgan gebraucht werden. Die
Augenmuskeln sind unthätig, die Augenachse immer nach
dem gleichen Punkte gerichtet, die Iris bleibt unbeweglich.
Das Sehen ist eben ein intellectueller Akt, und wenn das
Gehirn schlafumfangen ist, findet trotz des Sinnenreizes eine
Wahrnehmung nicht statt. Oft auch ist die Pupille nach
oben und einwärts gekehrt, so dass man nur das Weisse
sieht Das Gleiche zeigt sich in der Hypnose und im
magnetischen Somnambulismus.
Fragen wir nun, welche Art von Wahrnehmung stattfindet
, so sind zunächst jene .Fälle zu erwähnen, in welchen *
eine Wahrnehmung überhaupt nicht stattzufinden scheint.
Wenn sich nämlich der Nachtwandler darauf beschränkt,
in den gewohnten Bäumen der gewohnten Beschäftigung
nachzugehen, so könnte er durch die Erinnerungsbilder, die
er in sich trägt, geleitet sein. Zur Probe müsste man also
eine Veränderung im Zimmer vornehmen, und diese Probe
bestehen nicht alle Nachtwandler. Maury berichtet, dass
ein solcher allen Gegenständen im Zimmer geschickt auswich
; wenn man aber ein Möbel verrückte, so stiess er sich
daran und erwachte.3) — Hier fand also die Orientirung
durch imaginative Erinnerung statt. Ebenso bei jenem
Nachtwandler, der vor dem Spiegel sorgfältig seine Toilette
in Bezug auf Haar und Bart besorgte, aber auch dann
damit fortfuhr, als man den Spiegel umkehrte.2) — In
solchen Fällen genügt also die im Gedächtniss liegende
Topographie des Zimmers, um die Orientirung zu erklären.
Dass diese nicht auf Wahrnehmung beruht, zeigt sich auch
darin, dass für den Nachtwandler häufig nur ein Theil der
äusseren Umgebung vorhanden ist, nämlich derjenige, womit
sich seine Traumphantasie beschäftigt. Wenn nun wirkliche
Gegenstände auf ihn keinen Eindruck machen, wird wohl
die scheinbare Wahrnehmung der übrigen nur imaginativ
sein. Em Nachtwandler zündete sich einst ein Licht an.
Als man es auslöschte, glaubte er in der Dunkelheit zu
1) „Annales raeclico-psycholog." (1860.) 298.
2) Jolyx — „L'imagination.* 74.
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