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168 Psychische Studien. XVIII. Jahrg. 4. Heft. (April 1891.)
sein, wiewohl im Zimmer noch andere Lichter brannten.1)
— Auch das erstere Licht hat also für ihn nicht wirklich,
sondern nur imaginativ geleuchtet. — Der Nachtwandler
Negretti schlief häufig auf seinem Stuhle ein, und nachdem
er einige Zeit unruhig geschlafen, begann er unter die
Herrschaft seiner Träume zu kommen. Er nahm die Stellung
eines Menschen an, der einem Befehle horcht, lief dann mit
dem Wachsstock nach einer Stelle, wo sonst ein brennendes
Licht zu stehen pflegte, zündete imaginär den Wachsstock
an, und ging dann die Treppe hinunter, wobei er zuweilen
stehen blieb, wie um Jemandem zu leuchten. Bei der Thüre
angelangt, stellte er sich seitwärts und verbeugte sich, wenn
die Person seiner Einbildung vorüberging. Nachdem er
den Wachsstock imaginär ausgelöscht, setzte er sich wieder
auf seinen Stuhl, um dieselbe Komödie am gleichen Tage
noch ein paar Mal zu spielen.
Für die blos imaginative Orientirung spricht auch
der Umstand, dass der Nachtwandler mit den äusseren
Gegenständen sich häufig nicht so beschäftigt, wie es ihrem
Ansehen entspricht, sondern sie imaginativ verwandelt,
oder auch die einen richtig, die anderen falsch behandelt.
Negretti ergriff einst eine Flasche und gebrauchte sie wie
einen Leuchter. Als er sie bei Seite stellte, verwechselte
man sie mit einem wirklichen Leuchter, den er nahm, ohne
die Verwechslung zu bemerken, Ein anderes Mal schlug
man ihm mit einem Stock an's Bein. Seine Phantasie
dramatisirte diese Empfindung in der Weise, dass er einen
Hund zu sehen glaubte, auf den er nun schimpfte. Da
man ihn wieder schlug, holte er eine Ruthe und verfolgte
den vermeintlichen Hund mit Schlägen aus aller Kraft,
wobei es ihn verdross, dass er ihn, wie er merkte, nicht
traf. Er zog nun ein Stück Brod aus der Tasche, rief den
Hund beim Namen und hielt die Euthe verborgen. Man
warf ihm einen Muff hin, an dem er nun seine Wuth
ausliess. — Seine Schlafhandlungen entsprachen manchmal
seinen im Wachen gefassten Vorsätzen. Als er einst mit
dem Kammerdiener verabredet hatte, Abends in die Schenke
zu gehen, wiederholte er diesen Vorschlag im Schlafe, ging
wie in Begleitung dahin, forderte Wein mit zwei Gläsern,
trank des Freundes Gesundheit und schenkte ihm ein.2)
Ein anderer Nachtwandler stand auf, zog sich an, legte
Sporen an und setzte sich dann mit ausgestreckten Beinen
auf das Fenster, wo er rufend das Pferd zum Laufen
1) Du Potetx — „Tratte complet de magnßtisme." 203.
2) Muralon: — „Ueber die Einbildungskraft.44 I. 322.
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