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Wittig; Heilung durch Seelen- und Geisteskraft. 171
denken ausgesprochen hat, wird mir zugehen, dass es nicht
sehr leicht ist, sich vorzustellen, wie es sich eigentlich mit
diesen Dingen verhält — Vor allem möchte ich darauf
aufmerksam machen, dass die Vorstellung, wodurch man
sich den Leib als eine Schachtel denkt, und die Seele als
etwas ganz anderes, welches in dieser Schachtel eingeschlossen
ist, — oder den Leib als eine grosse Marionette und die
Seele als ein Männchen, das von innen an dem Bindfaden
zieht, gewiss nicht die richtige ist; dass es ferner sehr
unvorsichtig ist, etwas als möglich oder unmöglich darzustellen
, während man sich auf Begriffe stützt, die nichts
weniger als klar sind, und das in Sachen, von denen wir
noch keinen deutlichen Begriff haben, wie das Verhältniss
von Leib und Sepie, wo die Theorie nichts und das Factum
alles ist. Es ist durchaus nothwendig, im Menschen zwei
Thätigkeiten zu unterscheiden, die leibliche und die seelische.
Die leibliche Thätigkeit ist diejenige, welche man durch
sinnliche Erfahrung kennt, die geistige oder psychische die,
"welche man durch innerliche Erfahrung kennt. — Man kann
sehr gut behaupten, dass diese Thätigkeiten eigentlich eins
sind, jedoch von zwei Seiten gesehen. Als wissenschaftliche
Wahrheit ist es anerkannt, dass alle psychischen Sachen
unveränderlich mit gewissen leiblichen Sachen zusammengehen
; dass also nichts in der Seele geschieht, ohne dass
gleichzeitig etwas im Körper vorgeht; dass nichts gedacht
wird, ohne dass etwas geschieht, welches mau mit den
Sinnen wahrnehmen kann; meine lieben Leser, wenn ich
also zu Ihnen rede und meine Worte einen Eindruck
machen sollen, dann verursacht jedes Wort in Ihrem
Körper eine materielle Aenderung, Diese
Aenderung braucht nicht allein in Ihrem Gehirn vorzugehen
, sie kann so gross und stark sein, dass Ihr ganzer
Blutumlauf, Ihr Pulsschlag, die Temperatur Ihrer Haut
sich ändert. Alles hängt nur davon ab, was ich sage. Ich
würde durch eine einzelne scharf ausgesprochene Silbe alle
Ihre Pulsschläge in der Minute vermehren können; ja ich
würde so sehr den Blutlauf stören können, dass eine
Leichenblässe, Bewusstlosigkeit, Kälte der Haut und Erbrechen
die Folgen davon sein würden. Aber auch ohne
dass wir die Probe zu machen brauchen, werden Sie gerne
an die Macht eines Wortes glauben. Wenn man nun aber
annimmt, dass man durch die Macht eines Wortes Jemand
in Ohnmacht fallen lassen, also krank machen kann, wird
man dann von vornherein es für unwahrscheinlich
halten, dass man dadurch einen Kranken heilen
kann? — Ich kann bei meinem Beispiele bleiben. Ein
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