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184 Psychische Studien. XVIII. Jahrg. 4. Heft. (April 1891.)
auch unter einander im Widerspruch stöhn. Dem gegenüber
bezeichnet Wnndt als Endpunkt des individuellen psychologischen
Regressus den inneren Willen oder die reine
Apperception, nicht als ruhendes Sein, sondern als immerwährende
Thätigkeit. Dieser reine Wille ist kein Erfahrungsbegriff
, sondern eine Vernunftidee, ein transscendenter
Seelenbegriff also, den die empirische Psychologie fordern
muss, von dem sie aber für ihre Zwecke keinen Gebrauch
machen kann; sie braucht vielmehr eine zusammengesetzte
Einheit oder geistige Organisation, welche der des beseelten
Leibes nicht nur analog, sondern — das Zugeständniss ist
wichtig— 'nüt ihr völlig eins ist; Seele und Körper sind
nicht an sich, sondern nur in unserer Auffassung verschieden:
— Nach der Anleitung dieses Gedankens suchen wir zu
jedem psychischen Vorgang eine physische Begleiterscheinung
und verbinden, wo für den derzeitigen Stand unserer Erkenntnisse
der Kausalnexus auf der einen der beiden Seiten
unterbrochen erscheint, psychische Vorgänge durch physische,
oder auch physische Vorgänge durch psychische Zwischenglieder
. Nur eines ist ausgeschlossen, dass man direct das
Physische als Bedingung des Psychischen, oder umgekehrt
dieses als Bedingung des ersteren ansieht; denn Grund und
Folge setzen stets ein gleichartiges Ganzes voraus, ein
Ganzes ist aber nicht gleichartig, wenn seine Stücke verschiedenartigen
Betrachtungsweisen der Erfahrung angehören.
Alles das, was dann in der Lehre von der individuellen
Seele im 2. Kapitel der Philosophie des Geistes wiederholt
und näher ausgeführt wird, ist verständlich von dem Bemühen
Wundfs aus, seine psychophysischen Untersuchungen
mit den Ergebnissen seiner Erkenntnisstheorie und Metaphysik
in Einklang zu setzen; aber ob es iu dieser Fassung
auch frei von Widersprüchen ist? ob namentlich das
Zugeständniss, dass die geistige Organisation mit der
körperlichen völlig eins sei, oder, wie er an einer späteren
Stelle sagt, dass die Seele die Entelechie (Vollendung) des
lebenden Körpers, Leben und Beseelung Wechselbegriffe
seien, und dass beide Seiten dieser Wechselbeziehung 'fortwährend
in einander eingreifen und sich gegenseitig
fördern', ob das alles mit dem erkenntnisstheoretischen
Princip eines gleichartigen Ganzen als der nothwendigen
Voraussetzung für Grund und Folge zusammenstimmt? Ich
kann mich davon nicht überzeugen: entweder steckt in dem
empirischeu Seelenbegrüf IVundfs zu viel, oder in seinem
erkenntnisstheoretischen Princip zu wenig Monismus; unmöglich
aber kann ich, auf demselben Boden der Ver-
standeserkenntiiss, kurz gesagt, Leib und Seele in ihrem
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