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244 Psychische Studien. XVIII. Jahrg. 6. Heft. (Juni 1891.)
nicht zu sehen ist, oder von einer eigentlich sogenannten
Hallucination.
Die beste Definition von Hallucination ist, wie ich
glaube, diejenige Mr. Gumeys: — „Eine Sinnes-Hallueination
ist eine Wahrnehmung, welche der objectiven Basis entbehrt,
die sie vorspiegelt, die aber nur durch klare Ueberlegung
als mangelhaft erkannt werden kann."*)
Ein Beispiel wird diese Unterscheidung klar machen.
Angenommen, ich habe einen Freund Namens Smith, den
ich zu sehen erwarte. Ich erblicke irgend einen anderen
Mann im Zwielicht und halte ihn für Smith. Dies ist ein
blosses Versehen; aber es schliesst wahrscheinlich schon
etwas von Illusion in sich; das heisst, meine geistige
Ausdeutung der wirklich gesehenen unbestimmten Gestalt
enthält gewisse, aus meiner Erinnerung an Smith gezogene
Elemente. Ich gehe in das Haus und sehe Smith, wie ich
mir einbilde, auf einem Stuhl am Feuer sitzend. Wie ich
näher herantrete, finde ich, dass das, was ich sah, nur ein
über den Stuhlrücken geworfener Rock war. Dies ist eine
voll-blühende Illusion, und sie enthält möglicherweise auch
schon etwas von einer Hallucination. Ein Theil der Gestalt
Smith's wurde vielleicht wirklich von meinem Geiste erfunden,
wirklich veräusserlicht, — er war nicht blos das Resultat
unbewusster Auswahl unter den mit einander vermischten
Linien des Rockes und Stuhles. Ich setze mich hierauf
nieder und denke an Smith. Wenn ich eine gute Gesichts-
erinnerung von ihm habe, so kann ich mir vorstellen, dass
Smith auf dem Stuhle sitze, — ich kann eine Skizze von ihm
zeichnen, wie er auf dem Stuhle aussehen würde, ja sogar
meine Zeichnung von Zeit zu Zeit berichtigen durch Ver-
gleichung des Bildes von ihm in meinem „geistigen Auge".
Aber dies ist keine Hallucination. Ich werde nicht
getäuscht von meinem selbstbeschworenen Bilde. Es wird
ins Dasein gerufen durch den bewussten Theil meines
Geistes, und ich weiss vollkommen wohl, dass es nur meine
Einbildung ist.
Und jetzt nehme ich an, dass ich plötzlich Smith in
das Zimmer hereintreten sehe, — wie ich glaube. Ich fahre
auf, um ihn zu begrüssen, aber die Gestalt schreitet weiter
und geht durch die Wand hinaus. Dies ist eine Hallucination
; es ist eine Wahrnehmung oder ein gesehenes
Ding (ich nehme hier der Einfachheit halber das Gesicht
als stellvertretenden Sinn), das der objectiven Basis entbehrt,
*) Man vergl. hierzu „Psych. Stud." April-Heft 1885 S. 150 ff.
Ferner September-Heft 1889 8. 411 ff. — Der Uebersotzer.
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