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246 Psychische Studien. XVIII. Jahrg. 6. Heft. (Juni 1891.)
Der Grund dafür ist, weil sie Botschaften sind, deren
ersichtlich oberflächliche Bedeutung falsch oder sinnlos ist,
aus der wir aber nichtsdestoweniger eine Andeutung über
die Natur der Prozesse iq uns gewinnen können, die wir auf
einem anderen Wege nicht erhalten können.
Der Werth der von den Hallucinationen der Geisteskranken
für die Diagnose gelieferten Andeutungen ist schon
lange anerkannt. Mit den Hallucinationen des Wahnsinns
oder Deliriums haben wir jedoch hier nichts zu thun; unsere
gegenwärtige Untersuchung ist auf gesunde Personen beschränkt
, von denen die meisten, wie wir bald sehen werden,
sich in vollkommen normalem Wohlsein befinden.. Nun ist
es bis vor kurzem für eine vernünftige und gesunde Person
kaum für möglich gehalten worden, dass sie einer Halb'cination
unterworfen sein könne. Die Hallucinationen wurden unbestimmt
mit Alpdrücken verwechselt; und wenn Jemand
sagte, dass er „einen Geist gesehen" hätte, so machte man
sich allgemein den Scherz, ihm zu empfehlen, dass „er sich
mit einer Pille curiren" und späte Nachtmahlzeiten vermeiden
möge. Nun werden späte Nachtmahlzeiten gewiss Alpdrückeu
erzeugen, — unbestimmte traumartige Bedrückungen des
Blutumlaufs oder der Athmung u. s. w.; aber sonderbar
genug, unter mehreren Hunderten von neueren Fällen aus
erster Hand, die wir gesammelt und suidirt haben, können
wir keinen einzigen finden, bei dem allzuviel Essen die
erregende Ursache einer bestimmten Hallueinations-Gestalt
oder -Stimme gewesen zu sein scheint. Hunger erzeugt
thatsächlk-h Hallucinationen, so dass, wenn mein Leser
„einen Geist sehen" und ihn seinem eigenen inneren Zustande
zuzuschreiben wünschen sollte, er sich wenigstens
mit der Annahme trösten kann, dass er zu wenig anstatt
zu viel gegessen habe.
Aber es ist Thatsache, dass bis vor wenigen Jahren
kaum etwas über solche gelegentliche Hallucinationen Gesunder
bekannt war. Dieselben dürftigen Anekdoten wurden
immer von neuem wiederholt; und es fiel kaum Jemand
bei, dass der Inhalt der hallucinatorischen Bilder ein
werthvoller Schlüssel für durch andere Mittel unerreichbare
seelische Prozesse sein könnte. Zwei von einander unabhängige
Untersuchungen wurden hieiauf angestellt, welche
der Forschung ein ganz neues Aussehen verliehen. An
erster Stelle zeigten wiederum die französischen Hypnotisten
{Liebault, Riehe*, Berriheim u. s. w.), wie schon die älteren
Mesmeristen lange zuvor gethan hatten, dass es möglich
wäre, in gewissen gesunden Subjecten lebhafte und länger
andauernde Hallucinationen durch Suggestion im hypno-
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