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Kiesewetter: Spectrum oder Gespenst etc.
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physisch-psychischen Verfassung geht die Keilpflug in ein in
der Nähe des Kellers, in welchem das Gerippe gefunden
worden war, gelegenes Gewölbe. Diese Localität regte im
Gedächtniss der nervösen Frau die Erinnerung an die
Auffindung der Knochen wieder an, ohne dass dieselbe die
Bewusstseinsschwelle überschreitet und ihr zum klaren Gedankenbild
wird. Wohl aber spinnt ihre Psyche nach den
im Traume waltenden Gesetzen eine dramatisirte Verbindung
zwischen der Auffindung des Skeletts und der halb-
verklungenen Sage von dem durch Kathmann an einer Frau
verübten Morde zusammen. Die Frau wird nach landläufigen
wendischen Gespenstersagen zu einem wendische
oder böhmische Trauertracht tragenden Gespenst — wie
ja auch die „weisse Frau" eine derartige Figur ist —
gemacht und ihr der Name Katharina Ruprecht in Folge
des gleichen uns unbewussten psychischen Vorgangs beigelegt
, wie er sich in uns vollzieht, wenn sich die in unseren
Träumen hypostasirten Personen Eigennamen beilegen.
Dass der in Wirklichkeit in Löbau geschehene Mord
nach Bautzen verlegt wird, darf uns nicht irre machen;
denn bekanntlich pflegen wir uns in unseren Träumen an
nichts weniger als an die drei aristotelischen Einheiten zu
binden, sondern oft auf das Bizarrste, ja Unsinnigste mit
ihnen umzuspringen, was uns oft sogar während des Traumes
selbst auffällt.*)
Hier will ich bemerken, dass die Keilpflug um die Existenz
des Gerippes und wohl auch wusste, dass Skelette oder
Knochen, welche ohne Wissen der Einwohner in Häusern
verborgen lagen, schon seit altersgrauer Zeit Gespenstcr-
erscheinungen verursachten, indem sie so zu sagen psychometrisch
auf sensitive Bewohner wirkten. Den ältesten
*) Es braucht auch nur eine einfache sog. Gedäehtniss-
fälschung vorzuliegen. Frau Keilpflug war ja die Tochter eines
Oberamts-Secretärs Simon Hoffmann in Bautzen, der sicher genau um
den früheren Mord in Löbau wusste und bei Auftindung des Skeletts
in seinem Keller von demselben in seiner Familie bei Lebzeiten gesprochen
haben mochte, ohne den Ton so besonders auf Löbau zu
legen. Das hatte die junge Frau nach ihres Vaters Tode vergessen
und identiticirte in ihrem durch die Entbindung geschwächten Zustande
dieses ihr eigenes Hausskelett mit dem Löbauer 8kelett und in Folge
dessen auch deren Geister mit einander, deren Namen sie ganz gut
gehört und sich gemerkt oder in einer Chronik gelesen haben konnte.
Wie man sich selbst über tagwache Verhältnisse nicht lange nach
deren Erlebniss irren kann, darüber giebt mein Artikel: — „Das
von zwei Personen visionär gesehene Wandbild des
Einsiedlers Dippold« in „Psych. Stud." 1890 8. 90ff. und 8. 28tfff.
einen der Erwägung nicht unwürdigen Aufschluss. —
Der Sekr. d. Ked.
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