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278 Psychische Studien. XVIII. Jahrg. il Heft. (Juni 1891.)
erblicken, begriisste ihn und sprach ihn an, allein Schlegel
dankte und antwortete) nicht.
Dem Referenten ist es ähnlich ergangen. Er begegnete
Schlegel, sagte: — „guten Tag, Theobald!" — Dieser ging aber
stillschweigend an mir vorüber, ohne mir zu danken; ich
wusste nicht, was ich davon denken sollte.
Ein ähnlicher Fall ist vom Lehrer Lenze beobachtet
worden. Derselbe hat längere Zeit bei Schlegel gewohnt
und war mit ihm befreundet. Derselbe erzählt, er sei in
der überstrassc dicht vor ihm hergegangen; er habe ihn
mit seinem Namen laut gerufen, aber keine Antwort erhalten
. Als Lenze rascher ging, hat auch Schlegel einen
schärferen Schritt genommen, und so ist er ihm bis zur
Bürgerschule, wo vordem ein Kloster stand, nachgefolgt,
und als er ihn endlich eingeholt zu haben glaubte, ist
Schlegel auf dem grossen freien Platze plötzlich verschwunden.
Es war dies dem Lenze sehr auffallend. Als er nach Hause
kam, un Solches dem Schlegel zu erzählen, fand er ihn im
Bette und krank darniedei liegen, erhielt auch die Versicherung
, er sei nicht aus dem Hause und Bette gekommen.
Schlegel sagt; — das Sonderbarste von Allem war
Folgendes. Während derselbe an einem gastrischen Fieber
schwer krank darnieder lag, starb ein guter Freund von
ihm, dem er zu grossem Dank verpflichtet war. In seinen
Fieberphantasien war es sein steter Gedanke, den Freund
in seiner Krankheit zu besuchen, ilm noch einmal zu sehen
und zu sprechen. Da Schlegel selbst sehr gefährlich, ja
ohne aJe Hoffnung darnieder lag, so hatten ihm die Seinigen
den Tjd seines Freundes vorsorglich verschwiegen. Am
Tage der Beerdigung hatte seine Krankheit einen so hohen
Grad erreicht, dass der Arzt seinen Angehörigen andeutete,
wie er selbst keine Hoffnung zur Wiedergenesung hege.
Wie gross war daher der Schrecken seiner Schwester , als
sie, die an seinem Lager in der Stube weilte, ihn gleichzeitig
im Gefolge der Leidtragenden, dicht hinter den
nächsten Verwandten des verstorbenen Freundes, über den
Marktplatz gehen sah. Sie erschrak und weinte so heftig,
dass seine Mutter nebst einer zweiten Schwester herbei
eilten und nichts Anderes erwarteten, als ihn todt zu finden.
Um sich jedoch von der Wahrheit des Geschehenen zu
überzeugen und nochmals zu prüfen, ob die Schwester ein
Traumgebild, odor ihn selbst in Person gesehen habe, eilten
beide Schwestern dem Leichenzuge nach, der bereits den
Kirchhof erreicht hatte. — Aber wie erstaunten sie, als
sie in der Nähe des offenen Grabes den Bruder betrübt
dastehen sahen. Sie waren zu erschrocken, um ihn anzu-
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