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286 Psychische Studien. XVIII. Jahrg. 6. Heft. (Juni 1891.)
eines gelegentlichen flüchtigen Besuches, so unterhielt ich
doch mit ihr eine Freundschaft, welche der Tod zwar getrennt
, aber nicht zerstört hat. Ihre mir eigenhändig mit
zu schmeichelhaften Worten gewidmeten Werke liegen vor
mir. Die Erinnerung an viele Gespräche mit ihr, in denen
ich viel lernte und hinwegtrug, was ich dann so kühn war,
nach reifer Ueberlegung zu verwerfen, ruht mir noch lebhaft
im Geiste. Niemand konnte ihr, ohne Belehrung zu gewinnen
, zuhören. Es war nicht nöthig, mit Allem, was sie
sagte, einverstanden zu sein, darin Gedankenstoff zu linden.
Es ist das, wie mir scheint, ein engherziger Geist, welcher
nur durch Uebereinstimmung und Beifall sich geschmeichelt
zu fühlen vermag. Widerspruch ist wesentlich für einen
gesunden Geist, und ich fand eine Fülle desselben in der
Unterhaltung mit ihr, was mir zeigte, wie angemessen der
Wetzstein war, an dem ich meinen bescheidenen Verstand
schärfte. Was mir übrig bleibt, ist nicht so sehr ihr freundliches
Temperament, welches so heftig werden konnte, wenn
es aufgeregt ward, noch auch ihr ungemein grosser Vorrath
an Wissen, sondern die Wirkung ihrer kolossalen Persönlichkeit
und die Ueberzeugung, dass ihre Kritiker — wie
den meisten derselben geschehen ist — den rechten Weg zu
ihr verfehlt haben." — Sie starb am 8. Mai 1891 im
60. Lebensjahre. — Dieselbe Nr. des „Light" bringt auch
die Gedächtnissrede des Mr. G. R. S. Mead, B. A. (Cantabr.),
des Privatsekretärs der Madame Blavatski, bei Verbrennung
ihrer Leiche am Montag d. 11. Mai er. Nachm. 1 Uhr
35 Minuten. Er sagt darin: — „Die Theosophische Gesellschaft
, welche ihr grosses Werk bei ihren Lebzeiten war,
dauert fort unter der Sorgfalt und Leitung derjenigen
grossen Meister und Lehrer, deren Sendbotin sie war, und
deren Werk sie wieder aufnehmen wird unter uns in einer
nicht fernen Zeit." —
k) Aus Paris wird der Berliner „Vossischen Zeitung"
geschrieben: — Eine Berühmtheit eigener Art, Frau
Blavatskij Prophetin oder Hohepriesterin der Pariser
Buddhisten, hat diese Zeitiichkeit verlassen, in der sie ein
sehr bewegtes Leben geführt hat. Frau Blavatski war eine
geborene Russin und versicherte, dass sie sieben Jahre in
einem buddhistischen Kloster Tibets eingeschlossen gewesen
und dort in die höchste Weisheit der Secte eingeweiht
worden sei. Darnach kam sie nach New-York, wo sie
1875 mit dem sehr mystisch veranlagten Obersten Olcott
eine theosophische Gesellschaft gründete, welche sie dann
nach Europa verpflanzte. Sie entzweite sich aber mit ihrem
Mitbegründer. Besonders seit 1883 machte sie stark in
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