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Kurze Notizen
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Theosophie; mehrere vornehme Pariser Kreise wurden dafür
gewonnen. Ihre buddhistische Theosophie beanspruchte,
mehr als jegliche andere Religion, die Wahrheit, die einzige
Wahrheit zu sein und deshalb ihien Anhängern das Glück
zu sichern. Die Lehre fand um so mehr Anhänger, als sicli
die Ueberzeugung verbreitete, Frau Blavatski verfüge über
alle geheimen Kräfte der indischen Asketen; man erzählte
viel von den durch sie gewirkten Wundern. Die Willenswirkung
, Einflüsterung, Gedankenleserei und all* dergleichen
Künste waren Kinderspiel neben den Leistungen der Hohenpriesterin
. Sie brauchte nur in Gedanken eine Frage zu
stellen, um sofort auf demselben Wege aus dem fernen Tibet
oder Indien die Antwort zu erhalten. Frau Blavatski und
ihre Jünger behaupteten, sich persönlich theilen, den „Astral"-
Theil des eigenen Ich aussondern und vor sich hinstellen
zu können. Hierzu sei aber eine hohe Vollkommenheit, eine
vollständige Entäusserung aller gewöhnlichen Vorstellungen
und Sorgen nothwendig. Gar viele haben danach gestrebt,
aber den Wenigsten, wenn nicht gar Keinem, ist es gelungen,
die erforderliche Reinheit und Entsinnlichung zu erreichen.
Trotzdem versicherten die meisten, Zeugen der ausserordent-
lichsten Dinge gewesen zu sein. Frau Blavatski jedoch
gelang diese Astral-Theilung angeblich jedesmal, sie war
vollständig Herrin der Natur, zerlegte, blos durch ihren
Willen, alle Gegenstände, in beliebige Theile, die sie ebenso
den Ort ändern liess. Sie Hess Blumen aus den Dielen
wachsen und befahl den Glocken zu läuten. Entgegen so
vielen anderen Religionsstiftern, deren mir in Paris schon
einige Schock begegnet sind, war Frau Blavatski sehr uneigennützig
, theilte von ihrem Reichthum gern mit, besass
eine überzeugende, an erhabenen Ausdrücken reiche, bestrickende
Beredtsamkeit, predigte allgemeine Verbrüderung:
— „Der einzige Gott, dem wir dienen sollen, ist die Menschheit
, die Liebe des Nächsten der einzige Gottesdienst." — Sie
verlangte vollständige Selbstentäusserung von ihren Jüngern,
über welche sie grosse Gewalt besass. Besonders die Vornehmen
und Gebildeten hingen ihr an, ihre theosophische
Gesellschaft mehrte sich, zerfiel aber bald in eine Menge
kleiner sich befehdender Gruppen, welche angeblich ihre
Weisungen aus Madras empfingen. Eine stille Zeitschrift,
„Lotus", diente der Lehre. Mit dem Professor Leon de Rosny,
H oherpriester der von ihm gestifteten Neu-Buddhisten, stand
Frau Blavatski nur in entfernten Beziehungen. Herr de
Rosny ist durch scharfsinnige gelehrte Berechnung dahin
gelangt, in Paris 100.000 oder gar noch viel mehr seiner
Neubuddhisten zu zählen, von denen jedoch die allerwenigsten
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