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314 Psychische Studien. XVilL Jahrg. 7. Heft. (Juli 1891.)
IL Abtheilung.
Theoretisches und Kritisches.
Zu Kiesewetter's Geschichte des Occultismus.
Von Dr. Carl da Prel.
Bei den Versuchen des Menschengeistes, eine übersinnliche
Weltanschauung aufzustellen, war das Hauptbestreben
naturgemäss immer dahin gerichtet, die Eingliederung des
Menschen selbst in das Uebersinnliche zu erkennen, indem
man in ihm eine über das Irdische hinausreichende Substanz
nachweisen wollte. Bei diesen weit in die Vergangenheit
zurückreichenden Versuchen hat man aber von jeher die
Schwäche derjenigen Beweise gefühlt, die dem normalen
Seelenleben entnommen waren. Die psychischen Functionen,
die im Lichte unseres Selbstbewusstseins verlaufen, sind
doch allzueng mit der Körperlichkeit verknüpft, als dass
auf einen übersinnlichen Träger derselben mit Notwendigkeit
geschlossen werden müsste. Zwar hat der philosophische
Spiritualismus noch heute seine Vertreter; aber diese Leute
würden sicherlich von Stunde an ihre anachronistischen
Versuche einstellen, wenn sie mit den occulten Phänomenen
des Seelenlebens vertraut wären, welche der Seelenlehre eine
ungleich solidere Basis zu geben vermögen. Leute, die auf
diesen Vortheil freiwillig verzichten, gleichen einem Menschen,
der zur Reise nach Paris einen lahmen Droschkengaul
benutzt, während er doch mit dem Expresszug reisen könnte.
Seine Ankunft wird nicht etwa nur verzögert, sondern ist
überhaupt in Frage gestellt.
Von Zeit zu Zeit tauchten daher von jeher Philosophen
auf, die den Seelenbeweis auf die occulten Kräfte des
Menschen gründeten. Von Indien ganz abgesehen, finden
wir derartige Andeutungen bei Piaton, besonders aber bei
den Alexandrinischen Philosophen. Solche Versuche
mündeten immer bei der Präexistenz und Unsterblichkeit
ein, also bei der Eingliederung des Menschen in die übersinnliche
Weltordnung. Damit war aber noch ein anderer
Vortheil verknüpft. Die Philosophie des normalen Seelenlebens
, auch wenn sie, so gut es eben ging, Unsterblichkeit
lehrte, konnte doch auf keine Weise auch nur die blasseste
Vorstellung von der Beschaffenheit unseres jenseitigen
Lebens gewinnen. Die Philosophen des Occultismus dagegen
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