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336 Psychische Studien. XVIII. Jahrg. 7. Heft. (Juli 1891.)
Damals las sie unter Anderem die Romane Fenimore Cooper's,
und es erwachte in ihr das unwiderstehliche Verlangen, die
von Cooper so sympathisch geschilderte rothe Race aus
eigener Anschauung kennen zu lernen. Um dies Verlangen
zu befriedigen, fuhr sie im Jahre 1851 nach Canada; doch
die rothe Race entsprach ihren Erwartungen nicht. Sie
verliess daher Canada und begab sich nach New-Orleans,
um dort ihren Horizont zu erweitern durch die Bekanntschaft
mit den Sitten und Gewohnheiten der Wudus, eines
Negerstammes, welcher der Magie ergeben ist. Von New-
Orleans ging sie nach Texas und Mexiko, üb die Schwarzen
oder die Mischlinge jener Gegenden ihrem Ideal in höherem
Maasse entsprachen, als die rothen Menschen, wird nicht
geoffenbart. Wir begegnen der genialen Wandererin zunächst
wieder, wie sie mit einigen Freunden das Cap der guten
Hoffnung umfährt und in Bombay landet. Von dort versucht
sie umsonst, durch Nepal das geheimnissvolle
Wunderland Tibet zu erreichen, bereist dann den Süden
der indischen Halbinsel, geht nach Java und Singapore und
kehrt 1853 nach Europa zurück. Aber noch immer unberuhigt
, unbefriedigt, hält sie es nicht lange in dem alternden
Erdtheil aus. Sie segelt nach den Vereinigten Staaten von
Nordamerika, lebt dort irgendwie zwei Jahre und erneuert
dann (1855) ihren Versuch zum Eindringen in das Wunderland
Tibet, ihrer Meinung nach die Wiege der Weltreligion
— diesmal durch das sagenberühmte Bergland von Kaschmir.
Vier Freunde begleiteten sie auf dieser neuen Pilgerfahrt,
aber nur ihr allein gelang, in geschickt gewählter Verkleidung
, das üeberschreiten der Grenze. Abenteuer der
mannigfachsten Art folgten. Die Pilgerin verlor ihren Weg
in der Wüste und wurde, so heisst es, schliesslich durch
einen Trupp Reiter an die Grenze zurück escortirt. Bald
nachher brach der grosse Sepoy-Aufstand in Indien aus,
worauf Madame Blavatsky nach Europa eilte, zuerst nach
England, dann nach Deutschland, endlich nach dem heimischen
Russland.
Zehn Jahre wechselvolier, abenteuerlicher Weltfahrten
waren so verflossen. Befand der väterliche Oberst Peier
Hahn, befand General Blavatsky, der ehrwürdige Gemahl
der inzwischen 27 Jahre alt gewordenen „femme incomprise"
sich noch am Leben? Wir hören es nicht. In der wilden,
einsamen Gebirgswelt des Kaukasus erscheint die Heldin
dieses modernen Romans uns zunächst wieder als verwegene
Reiterin. Sie wird vom Pferde geworfen und verletzt dabei
ihr Rückgrat. Die Folgen jenes Unfalls waren erstaunlich.
Achtzehn Monate lang durchlebte die Leidende ein
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