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338 Psychische Studien. XVITT. Jahrg. 7. Heft. (Juli 1891.)
in seinem Zimmer sass, fühlte er sich plötzlich der Gegenwart
eines mysteriösen Wesens bewussi Thür und Fenster
waren geschlossen, kein sterblicher Fusstritt war auf der
Treppe gehört worden; und doch stand dort, deutlich im
Lampenlicht erkennbar, die Gestalt eines ehrwürdigen
Orientalen! Sofort fühlte Oberst Olcott, seine stillen Gebete
seien erhört worden. Er befand sich ohne Frage einem
Mitgliede der mysteriösen Brüderschaft der tibetanischen
Gebirge gegenüber, einem „Mahatma", das heisst Lehrer,
Schutzgeist, der in weiter Ferne seine stummen Seelenkämpfe
vernommen und auf den Flügeln des Mitleids über Continente
und Meere herbeigeeilt war, um den Rest seiner Zweifel
zu zerstreuen. Der Mahatma Hess sich in ein freundschaftliches
Gespräch mit seinem amerikanischen Schüler ein und
überzeugte diesen über jede Möglichkeit des Zweifels hinaus,
im Verlaufe einer halben Stunde, dass Madame Blavatsky's
Aussagen in Bezug auf die Existenz der Mahatmas und der
den Oberst Olcott erwartenden Mission weiter nichts seien,
als die reine Wahrheit. Aber noch Ausserordentlicheres
stand bevor. Der Oberst, wundergläubig wie er war, vermochte
doch die tiefgewurzelte Yankee-Natur nicht ganz
zu unterdrücken. Als der Mahatma sich zum Rückfluge
noch den tibetanischen Gebirgen erhob, kam seinem Schützling
der praktische Gedanke, den Schutzgeist um ein
praktisches Zeichen zu ersuchen, einen handgreiflichen
Beweis, dass die angedeuteten Vorgänge wirklich keine
blosse Täuschung seiner aufgeregten Sinne gewesen seien.
Ein freundliches Lächeln verbreitete sich über die Züge
des Mahatma. Er nahm seinen schattenhaften Turban von
seinem schattenhaften Haupte, drehte ihn mit seinen
schattenhaften Fingern hin und her und verwandelte bald
mittelst dieser Manipulationen das Luftgebilde in einen auch
für gewöhnliche Menschenhände fassbaren Turban, den er
dann dem erstaunten Obersten als Geschenk überreichte.
Seitdem trug Oberst Olcott den mahatmaischen Kopfschmuck
unausgesetzt in seiner Rocktasche. Bedrängten ihn einmal,
trotz aller unwiderleglichen Beweise für die Wahrheit seines
Glaubens, frivole Zweifler, so brauchte er nur die Hand in
die Tasche zu stecken, seine supranaturalistische Beglaubigung
hervorzuziehen und triumphirend auszurufen: — „Hier ist
der Turban!"
Unauflöslich blieben jedenfalls von nun an die russischdeutsche
kosmopolitische Prophetin und ihr nordamerika-
nischer Apostel mit einander verbunden. Im November
1875 gründeten Beide gemeinsam in New-York die
„Theosophische Gesellschaft". Als Bibel der neuen Religion
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