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372 Psychische Studien. XVIII. Jahrg. 8. Heft. (August 1891.)
Auf dem Schlosse Karlstein in den österreichischen
Alpen lebt der junge Graf Alfred von Karlstein, der Nachkomme
mystisch veranlagter Ahnen. Unter diesen spielte
der „Goldgraf* eine hervorragende Rolle, welcher in einem
zum Laboratorium eingerichteten Thurmgemach bei alchy-
mistischen Versuchen auf geheimnissvolle Weise ums Leben
kam und eine reiche occultistische Bibliothek hinterliess, die
seine Nachkommen fortwährend vermehrten und ergänzten.
Dieser Bibliothek verdankt Graf Alfred seinen Hang zu
mystischen Studien.
Ohne Wahl und Ziel hat er die alten, oft sehr wunderlichen
Folianten durchstöbert, ohne einen leitenden Faden
zu finden, und beschliesst — ermüdet und abgeschreckt durch
resultatlose Forschungen — auf Zureden seiner Schwester
Lenore, in die Welt zu gehen und das Leben zu geniessen.
Mit Skizzenbuch und Malkasten ausgerüstet, unternimmt
Alfred als Maler eine Alpentour und wird mit Marietta
bekannt, einer deutsch-italienischen Gretchenfigur, der
Tochter des Krystallsuchers Dobianer, eines über Paracelsus
und anderen alten mystischen Naturforschern grübelnden
Mitteldinges zwischen einem Gelehrten und Bauern. Es
entspinnnn sich zarte Beziehungen zwischen Alfred und
„Moidele", wie Marietta von den Landleuten genannt wurde,
deren Verlauf der gewöhnliche ist: — „sie liebt' und fiel;
wer mag die Liebe hüten?" — Alfred ist indessen kein gewöhnlicher
Verführer, sondern will Moidele trotz des
Widerstandes seines Vormundes, des Generals von Karlstein,
heirathen, sowie er mündig geworden ist. Moidele willigt in
Alles ein und begiebt sich mit ihrem Vater nach der
Riviera, ihrer Heimath, wo sie Mutter eines Knaben wird.
Doch zehrt die Sehnsucht nach Alfred an der kaum
Genesenen, und auf Anrathen des Arztes geht sie, ihr
Kind in bewährten Händen lassend, nach Oesterreich zurück,
wo Alfred ihrer harrt. Auf ihrer Alm an der Teufelskanzel
am Ferner will Moidele mit Alfred zusammentreffen; sie eilt
dem Nahenden glückstrahlend entgegen und — rutscht ab;
der Abgrund giebt seine Beute nicht wieder heraus.
Der trostlose Alfred sucht Ersatz bei seinem Kind und
reist mit Dobianer nach Ungarn, wohin es seine Pflegeeltern
auf einer nothwendigen Reise mit sich genommen hatten.
Allein die Pflegeeltern des Knaben sind nicht an ihrem
Bestimmungsort angekommen, sondern, als bei ihrer Ueber-
setzung über die Theiss die Plätte in Folge der Ausgelassenheit
betrunkener Wallfahrer umschlug, ertrunken.
Alles zu Ermittelnde war, dass sie, um das Kind auf der
beschwerlichen Reise nicht Gefahren und Strapazen aus-
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