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du Prel: Der Nachtwandler.
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Erstaunen.1) — Schubert erzählt: — „Ein Freund von mir,
der als Schriftsteller bekannt ist, war von der gefährlichen
Krankheit seiner weit entfernten geliebten Schwester nicht
unterrichtet. In derselben Nacht aber, wo sie starb, sieht
ihn sein in demselben Zimmer schlafender Mitschüler mit
verschlossenen Augen aufstehen und etwas niederschreiben.
Jener erinnert sich am anderen Morgen an nichts mehr,
selbst nicht daran, dass ihm etwas Aehnliches geträumt
habe. Das Papier, das er in der vergangenen Nacht beschrieben
, wird hervorgeholt, um ihn mit den Zügen seiner
eigenen Hand zu überzeugen, und man findet ein Gedicht
auf den Tod einer geliebten Schwester.2) — In diesem Falle
beweist das erinnerungslose Erwachen die Tiefe des voraus
gegangenen Schlafes, in dem entweder ein Fernsehen des
Schlafenden eintrat, oder er für telepathische Einflüsse von
Seite der sterbenden Schwester empfänglich wurde. Im
vergangenen Jahrhundert erwähnt Zwinger zwei Nachtwandler
. Der eine schrieb im Schlafe deutsche Aufgaben,
der andere, der im Wachen eine poetische Aufgabe nicht
fertig brachte, fand sie Morgens von seiner eigenen Hand
vollendet. Er behielt diese Fähigkeit bis zum Alter von
40 Jahren.3) — Weit häufiger muss natürlich das Dichten
im Traume ohne Niederschrift vorkommen, und wenn gar
der die Kegel bildende Umstand des erinnerungslosen Erwachens
hin wegfiele, so könnten ohne Zweifel Berichte
dieser Art ganz ungeahnt vermehrt werden. Dass die
Somnambulen und die Schreibmedien sehr häufig in Versen
sprechen und schreiben, oder wenigstens einer rhythmischen
Sprache sich bedienen, ist bekannt genug.
Weiterhin kommen die nachtwandlerischen Maler und
Musiker in Betracht. Raphael erzählt, dass er von zarter
Kindheit an immer ein besonderes heiliges Gefühl für die
Jungfrau Maria in sich trug so dass er zuweilen schon
beim lauten Aussprechen ihres Namens wehmüthig gestimmt
wurde. Später, als sein Sinn sich auf Malerei richtete, war
es immer sein höchster Wunsch Maria so recht in ihrer
himmlischen Schönheit zu malen er fand aber nicht den
Muth dazu. In Gedanken arbeitete er beständig an ihrem
Bilde, bei Tag, wie Nacht, aber seine Phantasie blieb wie
im Finstern. Manchmal überkam es ihn, wie ein himmlischer
Lichtstrahl; er hatte das Bild vor Augen, wie er es erstrebte
. Das war aber immer nur für Augenblicke; er
*) Moritz: — „Magazin." III, 1. 88.
2) Schubert: — „Nachtseite der Naturwissenschaft." 218,
*) Zwinger: — „Diss. med." C. 2.
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