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du Prel: Der Nachtwandler. 429
lang und wollte es Morgens nicht glauben, dass er selbst
die Arbeit gethan. Einst, während er eben den Pinsel
auswusch, nahm man sein Bild von der Staffelei weg, und
ersetzte es durch einen leeren Carton. Er setzte auf diesem
seine Arbeit fort, wovon er also offenbar ein genaues Bild
in der Phantasie trug. Dieser Versuch wurde mehrmals
wiederholt.1) Ein anderer Maler und Nachtwandler, dem
man ebenfalls das Bild wegnahm und durch ^inen leeren
Carton ersetzte, malte darauf eben jene Theile, die das
weggenommene Bild ergänzten.2)
Die musikalische Phantasie finden wir, wie bei magnetischen
Somnambulen, so auch bei Nachtwandlern gesteigert.
Wir dürfen diesen Satz unbedenklich in dieser Verallgemeinerung
aussprechen, ohne uns dem Tadel einer
hyperbolischen Induktion aus ungenügendem Thatsachen-
material auszusetzen; denn wenn auch die bezüglichen
Berichte nicht zahlreich sind, so gilt doch von der musikalischen
Thätigkeit das Gleiche, was von der poetischen;
dass die Erscheinung viel häufiger wäre, wenn die nachtwandlerische
Ausführung der Composition jedes Mal hinzukäme
, oder wenn nicht die Erinnerung nach dem Erwachen
nur ein Ausnahmsfall wäre.
Von Tartini wird erzählt, dass er einst vergeblich versuchte
, eine Sonate zu Ende zu bringen. Die Gedanken
daran gingen in seinen Schlaf über, und von Neuem begann
er die Arbeit, gab sie aber, daran verzweifelnd, auf. Da
erschien ihm im Traum der Teufel und versprach, die
Sonate zu vollenden, wenn er ihm dafür seine Seele verschriebe
. Tartini ging darauf ein, und zu seinem grossen
Entzücken spielte ihm der Teufel auf der Violine die Sonate
vor. Tartini erwachte und schrieb aus dem Gedächtniss die
Teufelssonate nieder.8) — Der Umstand, dass die Oonception
hier die dramatisirte Form annahm, ist psychologisch dahin
auszulegen, dass ihm die Töne als eine Inspiration aus dem
Unbewussten zuflössen, also scheinbar aus fremder Quelle,
die er personificirte; dass also der Schlaf nicht tief genug
war, als dass sein Traumbewusstsein bis in das Unbewusste
hätte hinableuchten können, und daraus erklärt sich auch
die nachträgliche Erinnerung.
Die Theorie der Mageolettöne soll Sardini im Traum
gefunden haben.4) Häufig zeigt sich das musikalische Talent
*) Segouin: — „Lea myst^res de la magie." 42.
2) Gasparin: — ,?Les tables tournantes." II. 291.
*) Brierre de ßoismont: — „Des hallucinations." 260.
4) Scherner: — „Das Leben des Traumes." 304.
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