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432 Psychische Studien. XVIII. Jahrg. 9. Heft. (September 1891.)
an der höchsten Leistung des menschliehen Geistes in
mathematischer Hir sieht, an dem Werke Newton^ nämlich,
dessen „Philosophiae naturalis prineipia mathematica",
dessen „Eleganz" yon den Mathematikern von Fach so sehr
bewundert wird, scheint jenes Unbewusste seinen Antheil
zu haben; auf die Frage, wie ihm so grosse Entdeckungen
gelungen seien, gab er zur Antwort: — „Weil ich beständig
an meine Arbeit dachte, sogar im Traume." — In neuerer
Zeit ist beobachtet worden, dass auch in der Hypnose die
Lösung complicirter mathematischer Arbeiten rascher und
besser gelingt, als im Wachen.1) Diese Erscheinung und
die analogen Leistungen der Rechenkünstler werden nicht
verständlicher, wenn wir sagen, in solchen Fällen finde keine
Reflexion statt, sondern Intuition. Soll die Intuition kein
blosses Wort sein, so kann sie wohl nicht anders definirt
werden, denn als abgekürzte, verdichtete Reflexion, wobei
die Reihe der Gedankenglieder rascher durchlaufen wird.
Dass wir aber dieser Fähigkeit beim Traumarbeiter begegnen
, kann nicht Wunder nehmen; denn gerade dieses
Durchlaufen von Reihen mit transscendentaler Geschwindigkeit
finden wir mehrfach innerhalb des Unbewussten. Ich
erinnere an die dramatisch zulaufenden Träume, worin wir
innerhalb weniger Sekunden lange Zeitperioden durchträumen
, an die Vorstellungsverdichtung bei Ertrinkenden,
an unsere eigene Entstehung im Mutterleibe, wobei wir
abgekürzt die biologische Entwickelungsreihe wiederholen.
Also auch in diesem Punkte finden wir wieder die Analogie
generandi et eognoscendi.
Gewiss ist es nicht die bewusste Reflexion, die als
Gehirnthätigkeit ihr eigenes physiologisches Zeitmaass hat,
wodurch wir zu den höchsten Leistungen befähigt werden,
sondern die Intuition mit ihrem eigenen transscendentalen
Zeitmaass. In so fern muss also das Bewusstsein sogar als
Hinderniss genialer Leistungen bezeichnet werden. Der
Traumarbeiter ist in der That oft, wenn er nachträglich die
Arbeit vorfindet, weniger über die Unbewusstheit seiner
Thätigkeit erstaunt, als darüber, dass er besser gearbeitet
hat, als er es im Wachen vermochte.
Die verschiedenartigsten geistigen Thätigkeiten sind
der Intuition zugänglich; daher erstrecken sich die Berichte
auf sehr verschiedene Leistungen des Traumarbeiters. Jessen
erzählt von einem Jugendfreunde, der über einer journalistischen
Arbeit einschlief und am Morgen sie zu seinem
*) Obersteiner: — „Der Hypnotismus". 57.
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