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Kurze Notizen.
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musste vor dem Beginn jeder Expedition wiederholt werden.
Zum Träger der Spitzaxt, der dem Range nach unmittelbar
auf den Anführer folgte, wurde der achtsamste, schlaueste
und nüchternste Mann der Bande erwählt. Derselbe trug
auf dem Marsche die Axt im Gürtel und vergrub sie im
Lager an einem gesicherten Orte, der von keinem Fuss
berührt werden durfte, und zwar mit der Spitze nach der
Richtung, in welcher die Bande zu wandern beabsichtigte.
Die Thugs waren überzeugt, dass die Axt sich wende, wenn
eine andere Richtung des Weges ihrem Unternehmen förderlicher
sei. In früherer Zeit, behaupteten verhörte Thugs,
sei die Spitzaxt in einen Brunnen geworfen worden, aus
dem sie von selbst infolge bestimmter Ceremonien in den
Schooss ihres Trägers emporgestiegen sei. Verschiedene
Thugs erklärten vor Gericht, diese Erscheinung selbst gesehen
zu haben, und sprachen sich mit grosser Entschiedenheit
gegen die Möglichkeit eines Taschenspielerkunststücks aus!
Seit aber die Thugs thun, was verboten, und vernachlässigen,
was vorgeschrieben ist, habe die Axt diese Kraft verloren;
sie besässe dieselbe jedoch noch bei einigen Thugbanden
im Dekkhan, welche streng ihre Gesetze befolgen. — Der
Eid bei der Spitzaxt galt den Thugs für viel heiliger als
der auf das Gangeswasser oder auf den Koran geleistete;
wer ihn brach, hatte ihrer Meinung nach innerhalb sechs
Tagen den Tod zu gewärtigen. Das schlimmste Omen war
es, wenn die Axt der Hand ihres Trägers entfiel, und viele
Geschichten wurden von den Thugs über die grausigen
Ereignisse erzählt, die dieses Omen vorher anzeigte. —
Andere Wahrzeichen nahmen die Thugs vom Regen und
Gewitter, sowie von den verschiedensten Thieren her, von
Wölfen, Hasen, Schakalen, Eulen, Eseln, Hunden und
Krähen. Ein böses Omen war es, wenn einem Thug der
Turban abfiel oder in Brand gerieth, und dergleichen mehr.
— Bestimmte Personen galten den Thugs als unverletzlich,
ohne dass bei den meisten Kategorien ein einleuchtender
Grund zur Schonung zu finden wäre: Wäscher, Kehrer,
Sänger, Tänzer, Musiker, Oelhändler, Aussätzige, Schmiede
und Zimmerleute — die letzteren beiden aber nur, wenn
Vertreter der zwei Gewerke bei einander waren — und
noch folgende drei Klassen, die ihre Unantastbarkeit den
das ganze Brahmanentum beherrschenden Anschauungen
verdankten : Männer, welche eine Kuh führten, Brahmanen-
schüler und Träger vom Gangeswasser, solange deren Ge-
ässe mit dem heiligen Nass gefüllt waren. — Auch herrschte
unter ihnen die Achtung vor dem Weibe, insbesondere vor
den älteren Frauen der Genossenschaft. Der Mord von
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