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Dr. Spatzier: Mehrfach beglaubigte Erscheinung eines Verstorbenen. 485
unmittelbar darauf stürzen die vier Buchhalter mit dem
Kufe: — „Knie ist uns erschienen!" in das Gastzimmer. —
Herr Jeserich glaubte damals so wenig, wie heute (er ist
84 Jahre jetzt alt), an die objective Realität der Erscheinung,
führt aber heute noch seinen damaligen Buchhalter Weiss
als Zeugen an, und dieser, später Bahnhofsvorsteher in
Breslau, kann das Geschehene nur bestätigen, ebenso dass
er selbst das Phantom gesehen hatte.
Dieser Fall scheint mir nun sehr überzeugend in seiner
Art. Wie man aber in mystischen Dingen stets vorsichtig
sein muss, so will ich es auch hier sein. Vom Standpunkte
des Herrn Jeserich könnte man das Phantom als Product
einer gesteigerten Traumphantasie ansehen; nun ist aber
hier dieselbe Erscheinung von den Dienstmädchen beobachtet
worden. Es werden hier mehrere Dienstmädchen angeführt:
diese brauchen aber nicht sämmtlich von der objectiven
Erscheinung direct beeinflusst zu sein, da die Möglichkeit
nicht ausgeschlossen ist, dass sie durch den intensiven Ruf
des einen Mädchens derart beeinflusst waren, dass sie nun
auch selbst ein Phantom sahen. Nun kommen aber noch
die Buchhalter hinzu: auch von diesen muss einer mindestens
das Phantom erblickt haben , während die übrigen gleichfalls
beeinflusst gewesen sein können. Da nun Herr Jeserich
sich völlig ruhig verhalten hatte, so war eine Einwirkung
dieses auf die Mädchen ausgeschlossen. Eine Gedankenübertragung
des Herrn Jeserich auf das eine Mädchen ist
wohl darum nicht gut möglich, weil einmal das sympathische
Verhältniss beider Personen nicht wahrscheinlich und dieselbe
auch nicht in dem Augenblicke erfolgte, als Jeserich am
intensivsten an die Erscheinung dachte, sondern viel später;
denn er sass erst einige Zeit im Bett, kleidete sich dann
an und stand schon einige Zeit am Ofen, als die Mädchen
erst aufgeschreckt wurden. Auch bei den Buchhaltern ist
kaum ein Einfluss der Mädchen auf diese annehmbar, da
sie einmal getrennt von einander wohnten und, was besonders
zu beachten ist, erheblich später, (die Zeitangaben sind
nach oberflächlicher Schätzung unter so erregten Umständen
allerdings unzuverlässig), in die Gaststube eintraten, was
sicherlich früher geschehen wäre, wenn die Mädchen die
Veranlassung ihres Herunterkommens gewesen wären. Wir
müssten also, wenn wir das Erscheinen des Verstorbenen
nicht für objectiv real annehmen, mindestens bei drei
räumlich von einander getrennten Personen die völlig gleiche
subjective Täuschung annehmen. Was hiervon räthselhafter
sei, dies zu entscheiden, überlasse ich den Lesern.
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