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Dr. Spatzier: Doppelgänger und zweites Gesicht. 487
Verhältnisse gedacht habe; ebenso wusste er nicht mehr
zu sagen, ob er das Klingen des gezählten Geldes vernommen
habe. So viel steht aber fest, dass der Vater in derselben
Zeit völlig gesund war, da dieser Umstand besprochen ward.
Auch der Sohn war völlig gesund und bei wachem Be-
wusstsein. Bei diesem Fall scheint mir besonders bemerkens-
werth, dass das Phantom nicht plötzlich verschwand, sondern
ruhig Zimmer und Haus verliess und von einer zweiten
Person, dem Kaufmann Beust, ebenso wie eine wirkliche
Person handelnd gesehen wurde. Ist dieser Fall auch nicht
ein in jeder Beziehung mustergiltiger, wie der, welchen
Reichenbach S. 277 ff. dieses Jahrgangs berichtet, so dürfte
er, weil von zwei unbetheiligten Personen beobachtet, doch
nicht ohne Werth sein, zumal ich von der Aufrichtigkeit
des Sohnes, der mir den Fall erzählt hat, überzeugt bin, —
Mittheilen will ich noch, dass der Doppelgänger des Vaters
mehrere Jahre hintereinander bei mannigfachen Gelegenheiten
beobachtet worden ist, nur sind mir die übrigen
Fälle nicht genau genug berichtet, um sie hier anzuführen,
dass aber in den letzten fünfzehn Jahren vor dem Tode
genannter Person der Doppelgänger nicht mehr gesehen
worden ist. Ich erwähne das, weil der Vater gerade in den
letzten Jahren kränklich, aber in den Jahren seiner Doppelgängerei
völlig gesund war: ein Beweis dafür, dass Krankheit
nicht die Ursache, wohl aber oft Gelegenheitsursache der
Doppelgängerei ist.
In der Familie scheinen die mystischen Fähigkeiten
sich zu vererben. So war der Sohn, welcher mir Obiges
erzählte, lange Zeit Nachtwandler, also in gewisser Beziehung,
um mit du Prel zu reden, ein verstärkter Doppelgänger, da
hier der Astralleib den leiblichen Körper mitzog. Ein
anderer Bruder, Franz, der auch Dachdeckermeister war
und erst kürzlich gestorben ist, hatte die Gabe des
zweiten Gesichts. Bei den Personen, deren Tod nahe
bevorstand, sah er irgend eine Situation, bei der die betreffende
Person Leiche war, gewöhnlich geöffnete Särge, in
der die Betreffenden lagen.
Bei dieser Gelegenheit will ich noch einen anderen Fall
des zweiten Gesichts erwähnen, der ein Merkmal hat, welches
mir, in den mir bekannten Werken wenigstens, völlig unbekannt
ist. In dem Kirchdorfe Demertin bei Kyritz stand
der vor einigen Jahren verstorbene Dorfschulze Meier regelmässig
des Sonntags vor der Kirchthür und richtete es
möglichst so ein, dass er den ersten und letzten Kirchgänger
eintreten sah. Er wurde oft wegen dieses eigenartigen
Benehmens zur Eede gestellt, zumal er jeden
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