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574 Psychische Studien. XVIII. Jahrg. 12. Heft. (December 1891.)
wirklich das menschliche Gemüth ergreifen sollten, sie
nothwendig mit weit mehr Widerspruch und Beharrlichkeit
zurückgewiesen werden dürften, als ich ihnen zu verleihen
wagen kann. Denn dies ist es nicht, was die Menschen
wünschen: — der bloss schlussfolgernde, unvollständige
Beweis, dass es auf irgend eine oder andere Weise ein
Etwas giebt, welches das Grab überlebt. Was die Menschen
begehren, ist die Vergewisserung persönlicher Glückseligkeit
nach dem Tode; oder wenn sie diese nicht empfinden können,
so wünschen sie wenigstens dafür einen Halbglauben, der
sie in den Stand setzt, dergleichen Spekulationen ganz bei
Seite zu schieben. Sie begehren nicht etwa, mehr über den
Tod zu wissen, sondern nur das Nachdenken über das, was
sie bereits wissen, zu vermeiden. Ein Solcher wird uns in
demselben Athemzuge sagen, dass er fest daran glaube, in
die ewige Glückseligkeit einzugehen, wenn er sterbe, dass
er jedoch solche niederdrückende Gegenstände lieber nicht
weiter erörtern möchte. Manche schwache Geister erfinden
sogar für sich eine Art neuen Aberglaubens, — man weiss
nicht, ob von dem Temperamente des Plato oder des heiligen
Augustinus weiter entfernt, — nach welchem es etwas An-
maassliches oder Unehrerbietiges sei, wenn man dem Verstände
gestatte, über die Bestimmung und Hauptbedürfnisse
des Menschen ernsthaft nachzudenken. Alles dieses wissen,
wie ich nicht zweifle, die Diener der Religion sehr wohl.
Sie wissen, dass neben den edelmüthig vertrauenden Seelen,
denen alles Gute naturgemäss und alle hohen Hoffnungen
gewiss erscheinen, ihre Heerden einen grossen Procentsatz
schüchterner Seelen enthalten, welche nur in Sicherheit
gewiegt zu werden und um jeden Preis von der Furcht
befreit zu werden wünschen. Solche Menschen sind gewiss
nicht dazu veranlagt, zu genau auf den Beweis dessen, was
sie wünschen, zu blicken. Sie sind es nicht, die durch
irgend welche Worte von uns beeinflusst werden, oder die
sich die Mühe geben, den tastenden Schritten zu folgen, mit
welchen wir uns in diesen Troceedings' an einen zweifelhaften
Lichtschimmer jenes verheissenen Landes halten, das
sie bereits zu ihrer Befriedigung festgestellt haben.
„Unsere Arbeit wird, soweit ich dies behaupten kann,
hauptsächlich von Lesern von einem ganz anderen Typus
verfolgt. Es giebt eine Geistes-Verfassung, welche alljährlich
immer gewöhnlicher unter gebildeten Menschen wird, die,
obgleich sie weder cynisch, noch pessimistisch ist, dennoch
die Gegenwart ohne Enthusiasmus und die Zukunft ohne
Verlangen betrachtet. Es herrscht eine Art Zufriedenheit
mit dem Erdenleben und ein tiefes Misstrauen gegen das
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