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578 Psychische Studien. XVIII. Jahrg. 12. Heft. (December 1891.)
Schritt und ihr Muth, der Marsch gerieth ins Stocken. Die
Sepoys hatten Angst vor den Gespenstern an den Gräbern
der Jalwallahs. Mir Khan Hess sich jedoch nicht einschüchtern
und befahl herrisch den Weitermarsch. Der Fahnenträger
des Aufruhrs senkte dieselbe zu Boden. Die Offiziere verweigerten
laut den Gehorsam, da sie selber so sehr von
abergläubischer Angst befallen waren, dass sie beim Leuchten
der Blitze über der Kirchhofsmauer die Köpfe der weissen
Soldaten vom 150. Regiment und ihre rothen Schärpen
gesehen haben wollten. Der Khan schoss wüthend einen
Widerspänstigen nieder, und ein paar andere Hess er seine
Wache niederknallen. Aber die abgefeuerten Schüsse wurden
vom Kirchhof her erwidert. Das Echo (?) hatte die Indier
getäuscht. Mir Khan Hess aber sogleich auf die Kirchhofsmauer
schiessen — minutenlang krachten die Salven in
betäubendem Lärm unter dem gleichzeitigen Donner des
sieh entladenden Gewitters. Das ungewöhnlich starke Echo
warf die Salven und die Donnerschläge von der Mauer
zurück und versetzte die armen Gesellen in noch grösseren
Schreck. Sie fielen in Massen zur Erde, in dem Wahn,
von einer Kugel getroffen zu sein. Mir Khan zwang sie,
ihm bis ans eiserne Gitterthor unaufhörlich feuernd zu
folgen. Da tönte ihm das helle, langgezogene Hornsignal
des 150. Regiments von der Kapelle her entgegen. Er
kannte es wohl, so gut wie seine Leute. Ein Grausen erfasste
ihn; seine Soldaten standen wieder wie erstarrt. In ihrem
Entsetzen wähnten sie die Jalwallahs zwischen den Gräbern,
an der Mauer hinter dem Gitterthor stehen zu sehen und
das Klirren ihrer Waffen, ihre Kommandorufe zu hören.
Und noch eiumal tönte das schreckliche Signal des
150. Regiments ihnen entgegen; ein langhin über die Gräber
wegzüngelnder Blitz erhellte zugleich den Kirchhof und
schien die Kapelle zu treffen. Ein Donnerschlag, unter dem
die Erde erbebte, folgte ihm nach. In wildem Entsetzen
warfen die Sepoys jetzt die Waffen weg und flohen wie
besessen. Mir Khan wurde mit fortgerissen, stürzte von
seinem Ross und brach das Genick. Ein furchtbares
Geschrei erfüllte die Luft, — herrenlose Pferde stürmten
über die gestürzten Leiber hinweg und brachen in die
Knäuel der Flüchtigen. Blitz und Donner vermehrten noch
die Raserei der Massen. Beim hereinbrechenden Morgen
kam eine Reitertruppe an den Kirchhof zur Recognoscirung
wegen des wahnwitzigen Schiessens, das 150. Regiment
konnte noch nicht betheiligt sein. Da sehen die englischen
Reiter zu ihrem höchsten Erstaunen auf ein seltsames
Schlachtfeld, Da lagen in Massen die Indier, todte und
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