http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1891/0588
582 Psychische Studien. XVIIL Jahrg. 12. Heft. (Deceinber 1891.)
wie ja auch die Sagen von den Nibelungen und Dietrich
von Bern manche Bestandteile der wirklichen Geschichte
enthalten. Es handelt sich offenbar um die gewaltige
Hunnenschlacht unter Attila gegen die Westgothen unter
Theodorich, welche am 20. September 451 unserer Zeitrechnung
auf den katalaunischen Gefilden bei Chälons sur
Marne geschlagen wurde, und welche nicht nur das Schicksal
Roms, sondern dasjenige der gesammten earopäischen Cultur
entschieden hat. Dieses wichtige historische Ereigniss wurde
nicht ohne tiefere Beziehung im Laufe der Zeit durch
sagenhafte Erzählung vor die Thore Roms verlegt, und
die innere poetische Wahrheit des Kampfes der Abgeschiedenen
fand dort erst recht eine welthistorische Bedeutung.
— Dass eine solche zusammenfassende und weitschauende
Yermischung von Sage und Geschichte der Eigenart
Kaulbacti% besonders zusagte, ist wohl begreiflich." So unser
Gewährsmann Harn Müller, dem wir in der weiteren Auseinandersetzung
, wie Kaulbach zur Verwirklichung dieses
seinen Ruhm begründenden Bildes gelangte, von dem zuerst
der kleine Carton der Hunnen- oder Geisterschlacht im
Jahre 1834 vollendet wurde, hier nicht weiter folgen können.
Wir wollen nur noch seines Freundes Schüller Ansichten
darüber, was der Maler bei diesem und seinen weiteren
Geschichtsbildern unbewusst empfand und fühlte, aus dessen
Aufzeichnung eines abendlichen Spazierganges in Berlin
(30. September 1854) hervorheben. „Als die Rede darauf
kam, wie einseitig ein so bedeutender Mensch und Künstler,
wie Cornelius, die grosse Idee KaulbacKs in der Hunnenschlacht
aufgefasst habe, und wie häufig man überhaupt
von vielen Seiten schiefe Ansichten über seine Richtung
und Werke hören müsse, fand Schüller es lächerlich, dass
man in solchen Werken, und namentlich in der Hunnenschlacht
, etwas dem Historischen Gegenüberstehendes finden
wollte. Er (Sch.) liest darin die wahre Geschichte. Ihm
wird diese Geisterschlacht zu einem aligemeinen Symbol
der Geschichte an sich. 'Was wissen wir denn viel mehr
von ihr, als das, was in den Wolken vorgeht?' fragt er.
'Verhält sich unser Wissen von der Vergangenheit gegen
die Realität der Dinge, wie sie wirklich waren, wohl viel
anders als eine Spiegelung durch ein gestaubtes Glas?
Ist diese Spiegelung nicht die subjective Auffassung des
Einzelnen, ja ganzer Zeitalter und Nationen, von alledem,
was geschehen und gewesen? 'L'histoire est une fable
convenue', sagte Voltaire, und er hat in gewisser Hinsicht
Recht. Gehen die Perserkriege und Schlachten von
Marathon und Salamis nicht auch für uns so in den Lüften
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1891/0588