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20 Psychische Studien. XIX. Jahrg. 1. Heft. (Januar 1892.)
Frau um unseres Kindes willen das Liebt hatte brennen
lassen. Ich sann mit Vergnügen über meinen Traum nach,
und dachte so bei mir, wie Wünscher, der ein gutmüthiger,
humorvoller Mann war, lachen würde, wenn ich ihm diesen
Traum erzählte. Während ich noch darüber nachsinne,
höre ich Wünscher's Stimme draussen grade unter meinem
Fenster schelten. Ich setze mich in meinem Bette sofort
auf und lausche, aber ich kann seine Worte nicht verstehen.
Was kann der Brauer wollen? Ich dachte, und ich weiss
für gewiss, dass ich sehr ärgerlich über ihn war, er wolle
nur eine nächtliche Ruhestörung machen, da ich überzeugt
war, dass seine Angelegenheiten sicher bis zum Morgen
gewartet haben würden. Plötzlich kommt er in das Zimmer
von hinter dem Leinenschrank herein und schreitet mit
langen Schritten am Bette meiner Frau und dem des
Kindes vorüber; die ganze Zeit über mit seinen Armen
wild gestikulirend, wie es seine Gewohnheit war, rief er
aus: — „Was sagen Sie dazu, Herr Oberamtmann? Diesen
Nachmittag um fünf Uhr bin ich gestorben." — Erstaunt
über diese Mittheilung, rufe ich aus: — „O, das ist nicht
wahr!" — Er versetzte: — „So wahr, wie ich es Ihnen
erzähle; und was denken Sie davon? Sie wollen mich bereits
Dienstag Nachmittag um zwei Uhr begraben," — wobei er
seine Behauptungen die ganze Zeit über mit seinen Gestikulationen
bekräftigte. Während dieser langen Bede meines
Besuchers prüfte ich mich selbst, ob ich auch wirklich wach
wäre und nicht träumte.
Ich fragte mich: Ist dies eine Hallucination ? Ist mein
Geist im vollen Besitze seiner Fähigkeiten? Ja, dort ist das
Licht, da der Krug, dies ist der Spiegel, und dieser ist der
Brauer; — und ich kam zu dem Schlüsse: Ich bin wach.
Dann fiel mir der Gedanke ein : Was wird meine Frau
denken, wenn sie erwacht und den Brauer in ihrem Schlafzimmer
sieht? (p. 341). In dieser Befürchtung, dass sie
aufwachen könnte, wende ich mich zu meiner Frau um und
sehe zu meiner grossen Erleichterung an ihrem Gesichte,
welches mir zugewendet ist, dass sie noch schlummert; aber
sie sieht sehr blass aus* Ich sage zu dem Brauer: —
„Herr Wünscher, wir wollen leise sprechen, damit meine
Frau nicht aufwachen möge, es würde ihr sehr unangenehm
sein, Sie hier zu finden." — Hierauf antwortete Wünscher
in einem leiseren und ruhigeren Tone: — „Erschrecken Sie
nur nicht, ich will Ihrer Frau nichts zu Leide thun." —
„Dinge ereignen sich in der That, für die wir keine Erklärung
finden," — dachte ich bei mir und sagte zu Wünscher:
— „Wenn das wahr ist, dass Sie gestorben sind, so bin ich
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