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56 Psychische Studien. XIX. Jahrg. 2. Heft. (Februar 1892.)
kam also rasch in Fluss, und ehe wir es uns versahen,
waren wir in alle tausend und mehr Fragen des neapolitanischen
Lebens verflochten. Man besprach die bevorstehenden
Gemeinde wählen, welche die Stadt vermuthlich
wieder in das alte Chaos zurückführen werden, aus welchem
sie durch die Weisheit eines königlichen Vogtes errettet
wurde; man lachte über den riesigen, pagodenhaft geformten
Hut des alten Herzogs San Donato, der im Hintergrunde
des Saales eine Schaar stillhorchender Jünger katechisirte;
man beklagte den Schmutz der Strassen, die Ungemüthlichkeit
der Gasthöfe und sehnte sich so recht ordentlich nach der
traulichen Ecke irgend einer deutschen Gaststube, wo man
sich ungestört und behaglich der altgewohnten Uebung
deutscher Bierphilosophie hingeben durfte. Es war in
solcher Art eine angenehme Stunde verflossen, da frug
mein Genosse den liebenswürdigen Wirth, wie man wohl
in dieser nur für Lustwandler im Sonnenscheine, oder für
Bootsfahrten in glitzernder Mondnacht, geschaffenen Stadt
den Abend verbringen könne.
„Ich weiss Ihnen, lautete die Antwort, eine anregender©
Unterhaltung, als welche Ihnen das beste Theater zu bieten
vermöchte." — „Und das wäre?" — „Eine spiritistische
Sitzung mit dem wunderbarsten Medium Italiens." —
Wir gingen auf das Ansinnen mit der Bereitwilligkeit ein,
welche eine natürliche Frucht unserer Langeweile war,
Hessen uns Namen und Adresse eines neapolitanischen
Ingenieurs angeben, der das Medium kannte, und machten
uns kurz entschlossen auf den Weg zu ihm.
Hoch oben an den Abhängen von Capodimonte, da wo
man sonst das Meer und die Berge und die gesegneten
Thäler Campaniens in klassischer Reinheit überschaut, steht
das kleine Haus des Ingenieurs. Als wir uns durch das
schmutzige Strassengewirre hinaufgewunden hatten und uns
beim Thürsteher nach seinem Herrn erkundigten, da kam
derselbe gerade die Treppe herab. Wir stellten uns vor,
und gleich unter der Thorhalle, frei und ohne jede Förmlichkeit
entwickelte sich, nachdem wir ihm unsere Wünsche
dargelegt hatten, ein Gespräch eigenster Art: — „Ich freue
mich", sagte Herr Cioifi, „dass Mitglieder der Presse das
Bedürfniss empfinden, in ein Gebiet einzudringen, welches
ihnen so fern liegt, ein Gebiet, wo es wahrscheinlich keine
Vergangenheit und keine Zukunft giebt, und alles im
unbegrenzten Raum endlos dahin sich dehnt, uns armseligen
Knechten eines beschränkten Daseins zur Freude und zum
Tröste, Sie werden", fuhr er fort, „mit eigenen Augen
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